Wer erregt ist, denkt einspurig
Stark negative und auch extrem positive Situationen wie Gewalt und Sex wirken sich auf die Fähigkeit des Gehirns aus, Vorgänge in der Umgebung richtig einzuordnen.
Stark negative und auch extrem positive Situationen wie Gewalt und Sex wirken sich auf die Fähigkeit des Gehirns aus, Vorgänge richtig einzuordnen.
INNSBRUCK. Polizisten und Richter wissen es seit Langem: Zeugenaussagen sind nach schwerwiegenden Ereignissen mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen, vor allem, wenn die Zeugen etwa in den Unfall oder den Überfall selbst verwickelt waren. Die Wissenschaft liefert dazu Untersuchungen, die zeigen, dass das Gedächtnis unzuverlässig ist und Erinnerungen selten dem tatsächlich Erlebten entsprechen. Bisherige Forschung konnte zudem zeigen, dass Erinnerungen im Langzeitgedächtnis, die unter hoher Erregung, etwa bei Stress und Gefahr, entstanden sind, häufig Ereignisse weniger detailreich abbilden.
Forscher des Instituts für Psychologie der Universität Innsbruck sind nun noch einen Schritt weiter gegangen. Die Psychologen Thomas Maran, Marco Furtner und Pierre Sachse führten mit mehr als 60 Studienteilnehmern Experimente durch, um herauszufinden, wie herausfordernde Situationen das Denken beeinflussen, wie also die Vorstufe zur Erinnerung abläuft.
„Es ist bekannt, dass Zeugen eines Raubüberfalls sich genau an die Waffe erinnern können, selten an den Täter, denn die Waffe ist das Erschreckendste. Das Denken ist in dem Moment auf das Wesentliche konzentriert, auf das Überleben. Alles andere ist vorerst nebensächlich“, sagt Thomas Maran.
Er und seine Kollegen zeigten den Teilnehmern drei Videoszenen – eine Gewaltszene, eine erotische Szene und eine neutrale Szene. Dann erhielten sie bestimmte Aufgaben. Nach dem Betrachten erregender Szenen waren die Teilnehmer schlechter darin, wiederzugeben, wo sich Objekte befanden oder in welcher Reihenfolge Ereignisse geschahen: In herausfordernden Situationen ist es für Menschen also schwieriger, zu erfassen, wo sie sich räumlich befinden und was um sie herum geschieht. Ist es für Personen mit Schwierigkeiten verbunden, solche Kontextinformationen zu erfassen, hat das Auswirkungen auf unmittelbare Entscheidungen, das Verhalten in der Situation und die Erinnerung an diese Situation.
„In hoch erregtem Zustand, sei er positiv oder negativ, wird im neuronalen System vermutlich das reflexive und das kontextuelle Denken verringert zugunsten des schnellen Reagierens und gewohnheitsmäßiger Reaktionen, denn das kostet weniger Energie“, erklärt Thomas Maran. Weitere Studien mit bildgebenden Verfahren seien dazu jedoch notwendig.
Die Beeinflussung des Denkens geschieht nicht nur bei großer Gefahr oder beim intensiven Sex. Auch wenn etwa ein Wirtschaftsboss unter hohem Zeitstress oder unter dem positiven Stress, dass er gleich einen guten Deal machen wird, Entscheidungen zu treffen hat, auch dann kann der Mechanismus greifen.
Das bedeutet, es ist möglich, dass er wenig vorausschauend oder durchdacht entscheidet. „Unter positiver Erregung tendiert der Mensch dazu, auf Denken zurückzugreifen, das auf schnelle Belohnung aus ist“, stellt Thomas Maran fest.
Für ihre Experimente verwendeten die Forscher auch die sogenannte Pupillometrie, um sicherzustellen, dass die gezeigten Videos tatsächlich die Erregung steigern. Mit einem Messgerät wird die Pupillenweite und ihre Veränderung aufgezeichnet. Die Pupillometrie dient vor allem zur Erforschung psychischer Vorgänge, die unabhängig von den Lichtverhältnissen eine Pupillenreaktion bewirken. Gefühle wie Freude, Lust und Angst oder erhöhte Aufmerksamkeit führen zu einer Pupillenerweiterung.
Die Erkenntnisse dieser Studie sollen eine bessere Grundlage für das Verständnis von menschlichem Verhalten unter hohen Erregungszuständen geben: Das reicht von der Beurteilung von Affekthandlungen im Strafrecht über Verhaltensstörungen bei psychischen Erkrankungen bis hin zu wichtigen Entscheidungen in stressreichen Situationen wie etwa Polizeieinsätzen.
„Bei einem Überfall erinnert man sich an die Waffe, nicht an den Täter.“