Bei der Sozialunion droht ein Missverständnis
Die EU-Kommission möchte sich mehr um Soziales kümmern. Das wird nicht gehen, denn es fehlen die Kompetenzen.
Lang hieß es in Brüssel zum Thema Sozialpolitik nur lapidar: keine EU-Kompetenz. Jugendarbeitslosigkeit, Armutsgefährdung, Kinderbetreuung, Pensions- oder Gesundheitssystem – alles Aufgaben der Regierungen der Mitgliedsstaaten und nicht der EU.
Das soll sich ändern. Zwar nicht hinsichtlich der Kompetenzverteilung, aber zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Die EU-Kommission, der ständig vorgeworfen wird, sie kümmere sich vor allem um die Anliegen der Konzerne und weniger um die der Menschen, will nun das Soziale stärker im Auge haben. „Für mich ist Europa mehr als Binnenmarkt, Geld und Euro“, sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner jüngsten Rede zur Lage der Union und versprach gemeinsame Sozialstandards. Nicht um Harmonisieren oder Zentralisieren soll es freilich gehen, sondern nur darum, vorerst zu klären, was „fair“und was „unfair“ist.
Die Idee, die sozialen Unterschiede zwischen den 28 EU-Ländern aufzuzeigen, ist löblich. Wenn oft genug auf Italien gezeigt wird, weil dort ein Fünftel der 15- bis 24-Jährigen weder in der Schule noch in einer Ausbildung sind, unternimmt Rom vielleicht doch etwas dagegen. So ähnlich wie Österreich (wenn auch eher aus Geldnot) seine rekordverdächtigen Frühpensionierungen langsam zurückfährt.
Die Erklärung über Chancengleichheit, Fairness und sozialen Schutz, die die EU-Staats- und Regierungschefs heute, Freitag, bei ihrem Treffen in Schweden feierlich abgeben werden, bringt zunächst nichts Neues. Etliche der 20 Punkte sind schon in der Grundrechtecharta der EU verbrieft. Rankings zur sozialen Situation werden auch heute schon gemacht, ebenso gibt es Empfehlungen für die Länder im Rahmen der Budgetpolitik sowie da und dort Mindeststandards.
Doch jetzt bekommt das soziale Europa „endlich eine angemessene Bühne“, wie ein grüner Abgeordneter meinte. Das weckt Begehrlichkeiten. Gewerkschafter kritisieren seit Tagen die Unverbindlichkeit der „Säule sozialer Rechte“(so der sperrige offizielle Name) und fordern konkrete Gesetze.
Die Betonung der sozialen Aspekte der EU birgt aber auch die Gefahr von Missverständnissen. Für bessere Spitäler in Griechenland, höhere Pensionen in Litauen oder Ausbildungsplätze für Jugendliche in Italien können letztlich nur die Länder selbst sorgen. Und die schieben schon jetzt den schwarzen Peter gern nach Brüssel. Künftig werden sie das wohl noch mehr können.