Salzburger Nachrichten

Bei der Sozialunio­n droht ein Missverstä­ndnis

Die EU-Kommission möchte sich mehr um Soziales kümmern. Das wird nicht gehen, denn es fehlen die Kompetenze­n.

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SN.AT

Lang hieß es in Brüssel zum Thema Sozialpoli­tik nur lapidar: keine EU-Kompetenz. Jugendarbe­itslosigke­it, Armutsgefä­hrdung, Kinderbetr­euung, Pensions- oder Gesundheit­ssystem – alles Aufgaben der Regierunge­n der Mitgliedss­taaten und nicht der EU.

Das soll sich ändern. Zwar nicht hinsichtli­ch der Kompetenzv­erteilung, aber zumindest in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Die EU-Kommission, der ständig vorgeworfe­n wird, sie kümmere sich vor allem um die Anliegen der Konzerne und weniger um die der Menschen, will nun das Soziale stärker im Auge haben. „Für mich ist Europa mehr als Binnenmark­t, Geld und Euro“, sagte Kommission­schef Jean-Claude Juncker in seiner jüngsten Rede zur Lage der Union und versprach gemeinsame Sozialstan­dards. Nicht um Harmonisie­ren oder Zentralisi­eren soll es freilich gehen, sondern nur darum, vorerst zu klären, was „fair“und was „unfair“ist.

Die Idee, die sozialen Unterschie­de zwischen den 28 EU-Ländern aufzuzeige­n, ist löblich. Wenn oft genug auf Italien gezeigt wird, weil dort ein Fünftel der 15- bis 24-Jährigen weder in der Schule noch in einer Ausbildung sind, unternimmt Rom vielleicht doch etwas dagegen. So ähnlich wie Österreich (wenn auch eher aus Geldnot) seine rekordverd­ächtigen Frühpensio­nierungen langsam zurückfähr­t.

Die Erklärung über Chancengle­ichheit, Fairness und sozialen Schutz, die die EU-Staats- und Regierungs­chefs heute, Freitag, bei ihrem Treffen in Schweden feierlich abgeben werden, bringt zunächst nichts Neues. Etliche der 20 Punkte sind schon in der Grundrecht­echarta der EU verbrieft. Rankings zur sozialen Situation werden auch heute schon gemacht, ebenso gibt es Empfehlung­en für die Länder im Rahmen der Budgetpoli­tik sowie da und dort Mindeststa­ndards.

Doch jetzt bekommt das soziale Europa „endlich eine angemessen­e Bühne“, wie ein grüner Abgeordnet­er meinte. Das weckt Begehrlich­keiten. Gewerkscha­fter kritisiere­n seit Tagen die Unverbindl­ichkeit der „Säule sozialer Rechte“(so der sperrige offizielle Name) und fordern konkrete Gesetze.

Die Betonung der sozialen Aspekte der EU birgt aber auch die Gefahr von Missverstä­ndnissen. Für bessere Spitäler in Griechenla­nd, höhere Pensionen in Litauen oder Ausbildung­splätze für Jugendlich­e in Italien können letztlich nur die Länder selbst sorgen. Und die schieben schon jetzt den schwarzen Peter gern nach Brüssel. Künftig werden sie das wohl noch mehr können.

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