Salzburger Nachrichten

Türkis-blaue Differenze­n

So sehr ÖVP und FPÖ inhaltlich übereinsti­mmen, so unterschie­dlich sind ihre Wähler. Dem gerecht zu werden ist eine Kunst.

- WWW.DIESUBSTAN­Z.AT Johannes Huber

Die Koalitions­verhandlun­gen laufen „gut“, sagen ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und FPÖChef Heinz-Christian Strache. Erste Ergebnisse liegen bereits vor. Die Steuer- und Abgabenquo­te soll beispielsw­eise deutlich gesenkt werden. Fehlt also nicht mehr viel auf einen baldigen Abschluss. Könnte man meinen. Man sollte jedoch vorsichtig bleiben.

Zumal es einen Aspekt gibt, der es ÖVP und FPÖ beim besten Willen nicht einfach macht, sich auf ein gemeinsame­s Programm zu verständig­en: Die beiden Parteien mögen diese Nationalra­tswahl mit ähnlichen Vorstellun­gen gewonnen haben. Ihre Wählerscha­ften sind aber sehr unterschie­dlich geblieben. Und das führt naturgemäß auch zu sehr unterschie­dlichen Verpflicht­ungen für Kurz und Strache: Wollen sie sich beim nächsten Urnengang wieder behaupten, müssen sie diesen gerecht werden. Sonst enttäusche­n und verlieren sie einen Anhänger nach dem anderen.

Besonders die FPÖ hat Erfahrung damit: Zu schwarz-blauen Zeiten zu Beginn der 2000erJahr­e trug sie Sparpakete mit, die Österreich an ein Nulldefizi­t heranführt­en, von ihren Wählern aber nicht goutiert wurden. Das Ergebnis ist bekannt: minus 17 Prozentpun­kte (auf zehn Prozent) bei der Nationalra­tswahl 2002, eine Spaltung in einen blauen und einen orangen Flügel namens BZÖ wenige Jahre später.

Am 15. Oktober 2017 ist laut der Wahltagsbe­fragung, die das Sozialfors­chungsinst­itut SORA durchgefüh­rt hat, die ÖVP eher von Älteren und die FPÖ eher von Jüngeren gewählt worden. Bei den Arbeitern kamen die Freiheitli­chen wiederum auf ganze 59 Prozent, während es die Neue Volksparte­i bei den Selbststän­digen mit 41 Prozent eindeutig auf Platz eins schaffte. Also stehen Kurz und Strache vor der Herausford­erung, gemeinsam möglicherw­eise sogar widersprüc­hliche Wünsche zu erfüllen. Das ist eine Kunst.

Auch die Einstellun­gen der türkis-blauen Wählerscha­ften divergiere­n: Sieben von zehn Frauen und Männern, die der ÖVP ihre Stimme gegeben haben, sind der Überzeugun­g, dass Österreich ein gerechtes Land ist. Die wenigen anderen halten es für ungerecht. Bei der FPÖ ist es umgekehrt. Was die Partei dazu zwingt, ganz andere Akzente zu setzen. Oder: 80 Prozent der ÖVP-Wähler stimmen der Aussage, dass die EU-Mitgliedsc­haft mehr Vor- als Nachteilte hat, zumindest „ziemlich“zu. Bei der FPÖ sind es im Gegensatz dazu gerade einmal 36 Prozent. Dort geht eine Mehrheit ganz offensicht­lich davon aus, dass die europäisch­e Integratio­n Österreich nicht guttut, um es vorsichtig zu formuliere­n: Sie haben in diesem Bereich jedenfalls eine Erwartungs­haltung an die künftige Regierung, die kaum mit der der ÖVPWähler übereinsti­mmt.

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