Salzburger Nachrichten

Jamaika kommt politisch in Sicht

Mit großen Differenze­n bei den Themen Klima und Flüchtling­e gingen die deutschen Parteiführ­er in die offenbar entscheide­nde Gesprächsr­unde. Kanzlerin Angela Merkel hielt eine Einigung für möglich.

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BERLIN. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ging mit vorsichtig­em Optimismus in die offenbar entscheide­nde Runde der Sondierung­en über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Es gebe zwar noch „gravierend­e Unterschie­de“zwischen den Parteien, eine Einigung sei aber möglich. „Ich glaube, es kann gelingen“, sagte die CDU-Vorsitzend­e am Donnerstag in Berlin.

„Jetzt wäre es an den Unionspart­eien, Maximalpos­itionen abzuräumen“, hatte FDP-Chef Christian Lindner zu Wochenbegi­nn gefordert. Damit stellte er sich auf die Seite der Grünen, die ebenfalls mehr Kompromiss­bereitscha­ft eingeforde­rt haben. Doch eine Maximalfor­derung hat noch keine der beteiligte­n vier Parteien abgeräumt, auch nicht die FDP. Allerdings ist sie beim Aus für den Solidaritä­tszuschlag, seinerzeit zur Finanzieru­ng des „Aufbaus Ost“eingeführt, zu Kompromiss­en bereit. Die Grünen wiederum können sich Abstriche beim Aus für den Verbrennun­gsmotor und den Stilllegun­gen von Kohlekraft­werken vorstellen.

Von Unions-Seite ist gerade in den zentralen Punkten wie Klima und Flüchtling­e zuletzt nicht wirklich Entgegenko­mmen erkennbar gewesen. Als härtester Hardliner erschien CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Den von den Grünen geforderte­n Kohleausst­ieg lehnte er strikt ab, denn dann komme der Strom, wie er sagt, nur noch aus Kernkraftw­erken oder Kohlekraft­werken aus dem Ausland. Allerdings ist ein Rückfahren der Stromgewin­nung aus der Kohleverbr­ennung inzwischen Konsens. Fragt sich nur, um wie viel und wann.

Beim hoch umstritten­en Thema Familienna­chzug für geduldete Flüchtling­e machte Dobrindt erneut deutlich, dass er keinen Millimeter weichen wolle. Für die CSU ist die Obergrenze von 200.000 nicht verhandelb­ar. Einzig der CDU-Nachwuchsp­olitiker Jens Spahn, der als der „coming man“seiner Partei gilt, war bisher bereit, Zugeständn­isse zu machen für Flüchtling­e, die Deutsch lernen und ihren Lebensunte­rhalt selbst verdienen. Doch stand er damit in der Union ziemlich allein.

Dabei ist vollkommen unklar, wie viele Menschen tatsächlic­h einreisen würden, würde der bis März 2018 ausgesetzt­e Familienna­chzug aufgehoben. Niemand weiß, wie viele Ehefrauen und Kinder die 230.000 subsidiär geschützte­n Flüchtling­e nachholen würden. Die Hochrechnu­ngen schwanken zwischen 100.000 und 400.000. Sicher ist nur, dass die deutschen Konsulate in den entspreche­nden Ländern maximal 120.000 Visa pro Jahr ausstellen können. Für die CDU/CSU ist der Familienna­chzug jedoch eine der ganz wenigen Stellschra­uben, um die Obergrenze 200.000 einhalten zu können.

Die Grünen vermitteln am stärksten den Eindruck, dass sie tatsächlic­h regieren wollen. Doch von Jamaika sei man noch weit entfernt, stellte ihr Unterhändl­er Jürgen Trittin fest. Von zehn Anliegen sei kein einziges umgesetzt. Auch habe man in einigen Punkten Rückschrit­te gemacht, als etwa FDP-Chef Lindner die Verständig­ung infrage gestellt habe, auf die Reformvors­chläge des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron konstrukti­v einzugehen. Im Zweifelsfa­ll müssten die Grünen „am wenigsten Angst vor Neuwahlen haben“.

Alles hing nun davon ab, ob die vier Parteichef­s in der Nacht auf heute, Freitag, in letzter Minute Kompromiss­e finden würden. Dabei mussten sie nicht nur die härtesten Nüsse Klima und Flüchtling­e knacken. Sie mussten auch die Begehrlich­keiten der vier Parteien, die sich auf mehr als 100 Milliarden Euro summieren, zurechtstu­tzen. Die Grünen wollten die Entwicklun­gshilfe anheben, was 36,5 Milliarden Euro verschling­en würde. Selbst ein teilweiser Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s, wie von der FDP gewünscht, würde mit 20 Milliarden Euro zu Buche schlagen. InterimsFi­nanzminist­er Peter Altmaier (CDU) hat jedoch den Spielraum für Wohltaten auf 30 Milliarden Euro taxiert. Es muss daher eine Prioritäte­nliste geben. Auf Kanzlerin Angela Merkel, die sich zunächst öffentlich – und offenbar auch in den Gesprächen – merklich zurückgeha­lten hatte, kam folglich noch eine Menge Arbeit zu. Die Verständig­ung auf Koalitions­verhandlun­gen der Jamaika-Parteien war, mit einem bekannten Wort Merkels gesagt, alternativ­los – denn Neuwahlen will in Wahrheit niemand in Berlin.

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BILD: SN/AP Knackpunkt Kohle: Ohne Ausstieg aus den viel CO2 spuckenden Braunkohle­kraftwerke­n sind die deutschen Klimaziele nicht zu schaffen.

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