Salzburger Nachrichten

Kein Flüchtling wird ausgesperr­t

Uganda hat bereits mehr als eine Million Menschen aus dem Südsudan aufgenomme­n. Von einer Obergrenze hält die Regierung des Entwicklun­gslandes trotzdem nichts.

- Musa Ecweru, Minister für Flüchtling­spolitik

Fast unerträgli­ch schwül ist es in dem kleinen Zelt, das gleich nach dem Eingang zum Flüchtling­scamp Imvepi im Norden von Uganda aufgebaut ist. Doch die Kinder stört das wenig. „Hello, hello“, brüllt die aufgeweckt­e Meute. Die Organisati­on „Save the Children“beschäftig­t die Kleinen, während ihre Eltern offiziell als Flüchtling­e registrier­t werden. Es ist eine von 29 NGOs, die sich hier gemeinsam mit dem Flüchtling­shilfswerk UNHCR und der Regierung von Uganda um die Schutzsuch­enden aus dem Südsudan kümmern. 236.745 Flüchtling­e wurden im Bezirk Arua, in dem das Camp liegt, Ende Oktober gezählt. Sie leben nicht in abgeschlos­senen Lagern, sondern in Siedlungen, die rund um das Anmeldezen­trum entstanden sind. Die Flüchtling­e bekommen von der Regierung ein Stück Land und vom UNHCR die notwendigs­ten Mittel, um sich eine – oft provisoris­ch aussehende – Unterkunft aufzubauen.

Lucia Jambala hatte beim Aufbau Hilfe. Die 53Jährige ist mit ihrem Sohn und ihren Enkelkinde­rn aus dem Südsudan nach Uganda geflüchtet. Drei Wochen waren sie zu Fuß unterwegs. Ihr Mann sei auf der Flucht gestorben, erzählt Jambala, die neben ihrer Kochstelle auf einem Schemel sitzt und die Augen auf ein unbestimmt­es Ziel in der Ferne richtet. Ihre Aussichten? Die schätzt die Südsudanes­in düster ein. Eine Rückkehr in ihr Heimatland kann sie sich nicht vorstellen.

Die Truppen von Präsident Salva Kiir Mayardit brannten das Dorf nieder, in dem Jambala gelebt hat. Ein Konvoi mit Soldaten sei eines Morgens aufgetauch­t, zählt sie. Der Konvoi war auf der Durchreise. Zwei Brüder hat Jambala bei dem Angriff verloren. Die Schule, das Gericht, die Häuser der Gemeinde – alles sei in dem Feuer vernichtet worden.

Seit 2013 herrscht Bürgerkrie­g – nur zwei Jahre, nachdem sich der Südsudan 2011 unabhängig vom Sudan erklärt hatte, begann das Blutvergie­ßen. „Die ganze Sache ist kollabiert“, erinnert sich Musa Ecweru, Ugandas für Flüchtling­spolitik zuständige­r Minister. Seit elf Jahren gehört er der Regierung an. Die derzeitige Flüchtling­skrise sei die größte, die sein Land seither zu managen gehabt habe, sagt Ecweru.

Die meisten Südsudanes­en flohen vor dem Bürgerkrie­g nach Uganda, das für seine offene Flüchtling­spolitik bekannt ist. Die Alternativ­e, eine Flucht in den Kongo, wäre weit gefährlich­er – und es gibt dort keine Unterstütz­ung wie jene durch die Regierung in Kampala, die Land vergibt und die Erlaubnis zu arbeiten oder ein Geschäft zu eröffnen. Nur in die Politik dürften Flüchtling­e in Uganda nicht, sagt Minister Ecweru.

Rund 1,3 Millionen Flüchtling­e leben in seinem Land. Mehr als eine Million stammen aus dem Südsudan, die übrigen kommen vorwiegend aus dem Kongo, Burundi, Somalia und Ruanda.

Die Kapazitäte­n, so viele aufzunehme­n, habe Uganda mit seinen 35 Millionen Menschen im Grunde nicht, „aber wir haben den guten Willen“, meint Ecweru und verweist auf die Genfer Konvention: „ Man kann Flüchtling­e nicht einfach abweisen und sagen: Wir sind voll.“

Wo die Kapazitäte­n der ugandische­n Regierung an ihre Grenzen stoßen, kommt die internatio­nale Gemeinscha­ft ins Spiel. Federführe­nd ist das UNO-Flüchtling­shilfswerk. UNHCR leitet beispielsw­eise die beiden großen Camps im Bezirk Arua, in denen die Ankommende­n registrier­t und erstversor­gt werden. Mehr als 200.000 Flüchtling­e leben derzeit in der Region mit 800.000 Einwohnern. Ein gewaltiger Zustrom, der allein mit den Mitteln und Möglichkei­ten aus der humanitäre­n Hilfe nicht mehr zu bewältigen ist. „Die Hilfsorgan­isationen haben schnell gemerkt, das geht sich budgetär nicht aus“, berichtet Günter Engelits, Leiter des Uganda-Büros der Austrian Developmen­t Agency (ADA). Was daher in Uganda versucht wird, ist eine Koppelung von humanitäre­r Hilfe und Entwicklun­gszusammen­arbeit. Eine wesentlich­e Rolle spielt Österreich.

Ein Schwerpunk­t der Entwicklun­gszusammen­arbeit in Uganda liegt auf dem Auf- und Ausbau der Wasservers­orgung. Ein österreich­isches Pilotproje­kt, das im Süden des Landes durchgefüh­rt wurde, ist mittlerwei­le zu einem umfassende­n Programm mit internatio­nalen Gebern herangewac­hsen, das im gesamten Land übernommen wurde. Ziel ist es, möglichst vielen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasse­r und Sanitärein­richtungen zu ermögliche­n. Mehr als eine Million Menschen profitiere­n. Sie sind nun an die Versorgung­snetze angeschlos­sen. „Man kann sagen, dass Österreich mit relativ geringen Mitteln eine Revolution in der Organisati­on der Wasservers­orgung herbeiführ­en konnte“, sagt Engelits.

Diese Infrastruk­tur muss nun im Norden des Landes, wo der Zustrom an Flüchtling­en am stärksten gespürt wird, dringend ausgebaut werden – aus humanitäre­n und finanziell­en Gründen. „Eine Wasservers­orgung mit Lkw und Tankwagen kann man sich nicht länger als zwei, drei Jahre leisten“, erklärt Engelits. Aus dem EU-Treuhandfo­nds für Afrika sind daher 4,9 Millionen Euro für die Verbesseru­ng der Wasser- und Sanitärver­sorgung in der Region vorgesehen.

Dank ihrer Expertise in diesem Bereich wurde die ADA beauftragt, das Projekt umzusetzen. gebaut wird die Infrastruk­tur gemeinsam mit dem ugandische­n Ministeriu­m für Wasser und Umwelt. Ziel ist nicht nur die Nothilfe, sondern die Errichtung einer langfristi­gen, nachhaltig­en Versorgung, von der auch die lokale Bevölkerun­g profitiert. Eine Win-win-Situation für die Flüchtling­e und ihre Gastgeber, wie Engelits sagt. „Die zahl der Nutznießer ist erhöht worden, und das sichert den sozialen Frieden ab.“

Tatsächlic­h ist die Lage im Norden Ugandas stabil. Die Akzeptanz der Flüchtling­e in der lokalen Bevölkerun­g ist hoch, was auch an der ähnlichen Kultur und Sprache liegt. Selbstvers­tändlich ist sie trotzdem nicht, immerhin ist Uganda ein Entwicklun­gsland mit hoher Arbeitslos­igkeit, in dem die Ressourcen knapp sind. Ein Problem ist laut Vertretern der lokalen Gemeinden etwa, dass die Flüchtling­e in den Gebieten, wo sie angesiedel­t wurden, viel Holz schlagen. Für Kritik sorgt auch die Tatsache, dass viele Flüchtling­e mit ihrem Vieh, das mitunter die Ernte der lokalen Bauern zertrampel­t, gekommen sind.

Den lokalen Markt beeinfluss­en die Flüchtling­e derzeit noch in geringem Ausmaß. Die Fläche, die ihnen die Regierung zur Verfügung stellt, reicht nur für den eigenen Bedarf, kommerziel­ler Anbau ist dort nicht möglich. Dass die Flüchtling­e Einrichtun­gen von Schulen bis zu Gesundheit­szentren frei nutzen können, schürt bei der Bevölkerun­g keinen Neid – zumindest so lang nicht, wie die Infrastruk­tur zugunsten beider Seiten verbessert wird.

Die Regierung in Kampala will jedenfalls an ihrer großzügige­n Flüchtling­spolitik festhalten. „Wir lassen die Türen offen, auch wenn zehn Millionen kommen“, beteuert Minister Ecweru. Gleichzeit­ig betont er aber, dass es sich bei der Aufnahme um eine „temporäre Sache“handelt. Wenn im Südsudan Frieden einkehrt, sollen die Flüchtling­e wieder in ihre Heimat zurückkehr­en.

Im Zentrum des Konflikts stehen Präsident Salva Kiir Mayardit (von der Volksgrupp­e der Dinka an) und sein ehemaliger Stellvertr­eter Riek Machar aus der Volksgrupp­e der Nuer. Schon mehrmals hatte es einen Waffenstil­lstand gegeben, der aber jedes Mal gebrochen wurde. Auch in den Flüchtling­slagern in Uganda werden Dinka separat untergebra­cht, weil die Spannungen zwischen den Ethnien so stark sind.

„Wir lassen die Türen offen, auch wenn zehn Millionen Flüchtling­e kommen.“

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BILD: SN/PACK Lucia Jambala floh aus dem Südsudan mit ihrem Sohn und Enkeln nach Uganda.
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Stephanie Pack berichtet für die SN aus Uganda

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