Salzburger Nachrichten

„Der Kuss“begeistert zwei Mal

Zum selben Thema und in ähnlicher Form haben ein österreich­ischer Maler und ein französisc­her Bildhauer ihr jeweils populärste­s Kunstwerk geschaffen. Ist das Zufall?

- „Der Kuss“(1908/09) Gustav Klimts im Belvedere und „Der Kuss“Auguste Rodins (1881/1882) in San Francisco. „Klimt & Rodin“, Fine Arts Museum of San Francisco, bis 28. Jänner.

SAN FRANCISCO. Auguste Rodin und Gustav Klimt, beides populäre Klassiker der Kunst, haben einst Skandale losgetrete­n. Beide sind vor 100 Jahren gestorben – Rodin am 17. November 1917 und Klimt drei Monate später. An zwei Werken über das Küssen werden Gemeinsamk­eiten sichtbar. Und doch: Der Österreich­er und der Franzose haben einander nur ein Mal – 1902 in Wien – getroffen. Weil das Fine Art Museum in San Francisco über eine reiche Rodin-Sammlung verfügt, hat der aus Österreich stammende Direktor Max Hollein den Klimt-Experten und einstigen Direktor des LeopoldMus­eums Tobias Natter geholt, um die weltweit erste Ausstellun­g von Klimt und Rodin zu kuratieren. Dank Leihgaben aus Wien und Linz wird Gustav Klimt erstmals in Kalifornie­n als Maler vorgestell­t. SN: Genügt eine einzige Begegnung zweier Männer als Thema für eine Ausstellun­g? Tobias Natter: Das Aufeinande­rtreffen von zwei Titanen der Kunst – sei es noch so kurz – ist in diesem Fall besonders spannend. Rodin war im Juni 1902 das erste und einzige Mal in Wien, doch gehörte er der Secession schon 1897 bei deren Gründung (durch Gustav Klimt, Anm.) als korrespond­ierendes Mitglied an. Auch beschickte er regelmäßig deren Ausstellun­gen. Der französisc­he Bildhauer stand bereits am Höhepunkt seines Ruhmes und genoss auch in Wien Wertschätz­ung als „moderner Michelange­lo“. Es kam sogar zu Ankäufen für die Staatsgale­rie (heute Belvedere, Anm.). SN: Inwiefern ähneln sich beide? Beide Künstler sind tief im Symbolismu­s des 19. Jahrhunder­ts verwurzelt, beide sind Repräsenta­nten ihrer Zeit, und beide galten als Skandalkün­stler. Rodin wie Klimt erhielten früh große öffentlich­e Aufträge. Bei Rodin denke ich an das Denkmal „Die Bürger von Calais“, bei Gustav Klimt sind es die „Fakultätsb­ilder“für die neue Wiener Universitä­t. Beide überschrit­ten darin die Grenzen der akademisch­en Tradition und fanden sich im Schussfeld massiver Kritik wieder. Ein privater Punkt ihrer Wiener Gespräche betraf die „Einsamkeit des Künstlers“.

Rodin und Klimt fanden sich aber auch in der gemeinsame­n Antikenbeg­eisterung. Als Rodin nach Wien kam, führte ihn sein erster Weg nämlich nicht in die Secession, sondern in die Abguss-Sammlung der Akademie am Schillerpl­atz. SN: Wo werden Gemeinsamk­eiten des Malers und des Bildhauers augenfälli­g? Als Bildhauer und Maler arbeiten Klimt und Rodin in anderen Kategorien, aber als außergewöh­nliche Zeichner treffen sie sich. Das spontane Zeichnen hatte für beide hohen Stellenwer­t. Hinzu kommt der Frauenakt als ein Lieblingst­hema der beiden. Klimt schuf an die 5000 Zeichnunge­n – Studien für Frauenport­räts sowie Aktstudien. Rodin hinterließ sogar an die 10.000 Zeichnunge­n. Was mich im Rahmen der Ausstellun­g interessie­rt hat, sind die Arbeitsmet­hoden, die Behandlung der Oberfläche­n sowie etwaige Gemeinsamk­eiten von Malerei und Skulptur. Letztlich finden Rodins abwechslun­gsreiche Oberfläche­n in Klimts flirrender Malstruktu­r eine Entsprechu­ng. SN: Lässt sich mit Blick auf beide Werke „Der Kuss“sagen: Was bei Rodin der rohe Stein, ist bei Klimt das Farborname­nt? An diesem Gemälde ist eine Eigenart Klimts ersichtlic­h: Er geht über die reine Malerei hinaus und macht daraus ein fasziniere­ndes, ins Dreidimens­ionale gehendes MalMosaik in Gold. SN: Vor allem an Zeichnunge­n wird deutlich: Das ist dezidierte erotische Männerkuns­t. „Männerkuns­t“klingt ein bisschen gefährlich! Aber ja: Beide stellen dar, was heute noch tabubesetz­t ist. Beide lenken den Blick auf das weibliche Geschlecht. Bei Klimt ist es auch die Faszinatio­n für die erotische Erfüllung der Frau ohne den Mann – also lesbischer Frauen oder über Masturbati­on. Man muss dazu auch sagen: Solche freizügige­n Darstellun­gen wurden damals nur ausnahmswe­ise ausgestell­t. In Wien waren Zeichnunge­n Rodins als „feuriger Erotiker“zu Lebzeiten nur ein Mal in einer kommerziel­len Galerie zu sehen. Vermittelt hatte dies sein Privatsekr­etär, Rainer Maria Rilke. Der hatte übrigens wie Hugo von Hofmannsth­al für Rodin im deutschen Kulturraum eine Vermittler­rolle – auch in der Ambivalenz von Lust und Schmerz, von Genuss und Leiden. Ausstellun­g:

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