„Der Kuss“begeistert zwei Mal
Zum selben Thema und in ähnlicher Form haben ein österreichischer Maler und ein französischer Bildhauer ihr jeweils populärstes Kunstwerk geschaffen. Ist das Zufall?
SAN FRANCISCO. Auguste Rodin und Gustav Klimt, beides populäre Klassiker der Kunst, haben einst Skandale losgetreten. Beide sind vor 100 Jahren gestorben – Rodin am 17. November 1917 und Klimt drei Monate später. An zwei Werken über das Küssen werden Gemeinsamkeiten sichtbar. Und doch: Der Österreicher und der Franzose haben einander nur ein Mal – 1902 in Wien – getroffen. Weil das Fine Art Museum in San Francisco über eine reiche Rodin-Sammlung verfügt, hat der aus Österreich stammende Direktor Max Hollein den Klimt-Experten und einstigen Direktor des LeopoldMuseums Tobias Natter geholt, um die weltweit erste Ausstellung von Klimt und Rodin zu kuratieren. Dank Leihgaben aus Wien und Linz wird Gustav Klimt erstmals in Kalifornien als Maler vorgestellt. SN: Genügt eine einzige Begegnung zweier Männer als Thema für eine Ausstellung? Tobias Natter: Das Aufeinandertreffen von zwei Titanen der Kunst – sei es noch so kurz – ist in diesem Fall besonders spannend. Rodin war im Juni 1902 das erste und einzige Mal in Wien, doch gehörte er der Secession schon 1897 bei deren Gründung (durch Gustav Klimt, Anm.) als korrespondierendes Mitglied an. Auch beschickte er regelmäßig deren Ausstellungen. Der französische Bildhauer stand bereits am Höhepunkt seines Ruhmes und genoss auch in Wien Wertschätzung als „moderner Michelangelo“. Es kam sogar zu Ankäufen für die Staatsgalerie (heute Belvedere, Anm.). SN: Inwiefern ähneln sich beide? Beide Künstler sind tief im Symbolismus des 19. Jahrhunderts verwurzelt, beide sind Repräsentanten ihrer Zeit, und beide galten als Skandalkünstler. Rodin wie Klimt erhielten früh große öffentliche Aufträge. Bei Rodin denke ich an das Denkmal „Die Bürger von Calais“, bei Gustav Klimt sind es die „Fakultätsbilder“für die neue Wiener Universität. Beide überschritten darin die Grenzen der akademischen Tradition und fanden sich im Schussfeld massiver Kritik wieder. Ein privater Punkt ihrer Wiener Gespräche betraf die „Einsamkeit des Künstlers“.
Rodin und Klimt fanden sich aber auch in der gemeinsamen Antikenbegeisterung. Als Rodin nach Wien kam, führte ihn sein erster Weg nämlich nicht in die Secession, sondern in die Abguss-Sammlung der Akademie am Schillerplatz. SN: Wo werden Gemeinsamkeiten des Malers und des Bildhauers augenfällig? Als Bildhauer und Maler arbeiten Klimt und Rodin in anderen Kategorien, aber als außergewöhnliche Zeichner treffen sie sich. Das spontane Zeichnen hatte für beide hohen Stellenwert. Hinzu kommt der Frauenakt als ein Lieblingsthema der beiden. Klimt schuf an die 5000 Zeichnungen – Studien für Frauenporträts sowie Aktstudien. Rodin hinterließ sogar an die 10.000 Zeichnungen. Was mich im Rahmen der Ausstellung interessiert hat, sind die Arbeitsmethoden, die Behandlung der Oberflächen sowie etwaige Gemeinsamkeiten von Malerei und Skulptur. Letztlich finden Rodins abwechslungsreiche Oberflächen in Klimts flirrender Malstruktur eine Entsprechung. SN: Lässt sich mit Blick auf beide Werke „Der Kuss“sagen: Was bei Rodin der rohe Stein, ist bei Klimt das Farbornament? An diesem Gemälde ist eine Eigenart Klimts ersichtlich: Er geht über die reine Malerei hinaus und macht daraus ein faszinierendes, ins Dreidimensionale gehendes MalMosaik in Gold. SN: Vor allem an Zeichnungen wird deutlich: Das ist dezidierte erotische Männerkunst. „Männerkunst“klingt ein bisschen gefährlich! Aber ja: Beide stellen dar, was heute noch tabubesetzt ist. Beide lenken den Blick auf das weibliche Geschlecht. Bei Klimt ist es auch die Faszination für die erotische Erfüllung der Frau ohne den Mann – also lesbischer Frauen oder über Masturbation. Man muss dazu auch sagen: Solche freizügigen Darstellungen wurden damals nur ausnahmsweise ausgestellt. In Wien waren Zeichnungen Rodins als „feuriger Erotiker“zu Lebzeiten nur ein Mal in einer kommerziellen Galerie zu sehen. Vermittelt hatte dies sein Privatsekretär, Rainer Maria Rilke. Der hatte übrigens wie Hugo von Hofmannsthal für Rodin im deutschen Kulturraum eine Vermittlerrolle – auch in der Ambivalenz von Lust und Schmerz, von Genuss und Leiden. Ausstellung: