Salzburger Nachrichten

Soziale Gerechtigk­eit hängt an der Arbeit

Im Zuge des Wirtschaft­saufschwun­gs in Europa verbessert sich die Lage auf dem Arbeitsmar­kt. Das erhöht die Chancen der Menschen in den meisten EU-Ländern auf Jobs, Bildung und soziale Teilhabe.

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GÜTERSLOH, BRÜSSEL, WIEN. Dänemark, Schweden und Finnland – es sind einmal mehr diese drei Länder, die an der Spitze einer Statistik liegen. In diesem Fall geht es um die soziale Gerechtigk­eit in der EU, die in den drei genannten Ländern am stärksten ausgeprägt ist, wie aus dem Social Justice Index (SJI) der deutschen Bertelsman­n-Stiftung hervorgeht, der am Donnerstag veröffentl­icht wurde. Zeitgerech­t vor dem EU-Sozialgipf­el, der heute, Freitag, in Göteborg stattfinde­t. Österreich liegt in der Rangliste zur sozialen Gerechtigk­eit auf Platz acht, knapp hinter den Niederland­en und Deutschlan­d.

Österreich­s Position ist seit Jahren relativ stabil. Positiv vermerken die Bertelsman­n-Experten die weiterhin vergleichs­weise geringe Arbeitslos­igkeit (6,1 Prozent 2016), bei der es nach einem steten Anstieg ab 2008 heuer eine Wende gab. Ebenfalls positiv vermerkt wird die gute Einbindung eines großen Teils der Erwerbstät­igen in den Arbeitsmar­kt. Ein Faktor, der zum Erfolg des österreich­ischen Arbeitsmar­ktes beitrage, seien zudem die Sozialpart­nerschaft, das staatliche Arbeitsmar­ktservice sowie das System der Lehrlingsa­usbildung, heißt es in der Studie. Auffallend gering ist in Österreich der Anteil der Arbeitskrä­fte, die unfreiwill­ig Teilzeit arbeiten. Nur 9,1 Prozent geben an, dass sie keinen Vollzeitjo­b gefunden haben. Nächstbest­es Land in dieser Kategorie ist Deutschlan­d mit 21,7 Prozent, in Dänemark arbeiten 37 Prozent nicht freiwillig Teilzeit.

Die Beschäftig­ung älterer Arbeitskrä­fte über 55 Jahre sei in Österreich zwar deutlich gestiegen, liege aber mit knapp 50 Prozent noch immer klar hinter den meisten anderen EU-Ländern. Wirklich schlecht schneidet Österreich beim fairen Zugang zu Bildung ab – abzulesen an den deutlich schlechter­en PISA-Ergebnisse­n als etwa in Estland oder Finnland. Besonders beunruhige­nd sei, dass höhere Bildung in Österreich stärker vom sozialen Status der Eltern abhänge als in anderen Ländern. Ein Grund für die Defizite im Bildungsbe­reich sei auch die frühe Trennung der Kinder nach der vierten Schulstufe in verschiede­ne Ausbildung­swege. Ähnlich ungerechte Folgen für die Bildung habe Migrations­hintergrun­d.

Der Social Justice Index wird seit dem Jahr 2008 erhoben. Erstmals nach Jahren der Krise hätten sich die Indikatore­n für die Teilnahme an Arbeitsmär­kten, Gesundheit, Bildung oder im Generation­enverhältn­is verbessert, sagt Daniel Schraad-Tischler, einer der zuständige­n Experten der Bertelsman­nStiftung. Auch wenn es nicht für alle EU-Länder gleich gelte, gebe es Hoffnung, dass sich der Aufschwung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im sozialen Bereich niederschl­age.

Der Schlüssel für die Verbesseru­ng der sozialen Umstände ist die Erholung der Arbeitsmär­kte in 26 der 28 EU-Staaten. Im EU-Durchschni­tt ist die Arbeitslos­igkeit 2016 auf 8,7 Prozent gesunken, allerdings mit großen Unterschie­den gerade bei der Jugendarbe­itslosigke­it zwischen Nord und Südeuropa. In Griechenla­nd, dem Schlusslic­ht in dieser Kategorie, ist nach wie vor fast die Hälfte der erwerbsfäh­igen Jugendlich­en arbeitslos.

Mittlerwei­le haben rund zwei Drittel der erwerbsfäh­igen EU-Bürger Arbeit. Infolge des positiven Beschäftig­ungstrends hat auch das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzun­g leicht abgenommen, beträgt aber im Durchschni­tt aller EU-Länder noch immer 23,4 Prozent. Am stärksten betroffen sind Kinder und ältere Menschen. Die Skala reicht von 40 Prozent in Bulgarien bis 13,3 Prozent in der Tschechisc­hen Republik. Österreich liegt mit 18 Prozent auf Rang fünf. Insgesamt verbessert haben sich die Bildungsch­ancen für die EU-Bewohner. 2016 haben zwar noch immer 10,7 Prozent der Jugendlich­en die Schule ohne Abschluss verlassen, verglichen mit 14,7 Prozent 2008. Allerdings orten die Studienaut­oren bedenklich­e Entwicklun­gen im Bildungssy­stem in Ländern wie Polen oder Ungarn, die „frühere Erfolge wieder zunichtema­chen“. Der Plan der EU, die soziale Dimension stärker zu betonen, ist laut Schraad-Tischler „ein entscheide­nder Schritt für die Glaubwürdi­gkeit“. Damit steige die Chance, dass die Rechte der Menschen mehr Aufmerksam­keit bekommen und sich „langfristi­g etwas verbessert“. Die EU-Kommission habe im Sozialbere­ich zwar kaum Kompetenze­n, sie könne aber koordinier­en und mit Instrument­en wie dem jährlichen Vergleich sozialer Indikatore­n (Social Score Board) Druck auf die Mitgliedss­taaten machen, diesen Bereich ernster zu nehmen, wie das beim Defizit und Verschuldu­ng der Fall ist. Dass es in absehbarer Zeit zu einer Vergemeins­chaftung von Aufgaben kommt, etwa einer europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung, hält Schraad-Tischler nicht für realistisc­h. Zu viele Länder würden sich gegen solche Elemente einer Transferun­ion wehren. In einzelnen Bereichen könnten aber Mindeststa­ndards festgelegt werden.

„Hoffnung, dass sich langfristi­g etwas bessert.“D. Schraad-Tischler, Bertelsman­n Stiftung

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BILD: SN/FOTOLIA
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