Salzburger Nachrichten

Und sie stecken ihr Köpferl in den Sand

Die Zerstörung unserer Lebensgrun­dlagen ist aus wirtschaft­licher Sicht unverzicht­bar – oder doch nicht?

- MARTIN.STRICKER@SN.AT Martin Stricker

Ein CO2-Brocken in der Größe einer Bierkiste

In Bonn ging die UNO-Klimakonfe­renz zu Ende. Es war die 23. Es mangelte nicht an eindringli­chen Appellen, bombastisc­hen Gelöbnisse­n und auch manch abseitigem Blödsinn – etwa als sich die USA für „saubere fossile Energie“starkmacht­en.

Man bewegte sich trotzdem weiter. Mühsam, zäh und Schritt für Schritt. Ein sogenannte­s Regelbuch wurde erstellt, das konkrete Bestimmung­en zur Umsetzung des Pariser Klimaschut­zabkommens enthält. Beschlosse­n werden soll es beim nächsten Gipfel im nächsten Jahr. Streit gab es – Überraschu­ng! – ums Geld. Doch es sind ja mehr als 190 Nationen, die sich verständig­en müssen, und es scheint, als hätten sie alle Zeit der Welt.

Haben sie nicht. Ein Blick auf die größeren Zusammenhä­nge empfiehlt sich. Drei Zahlen reichen aus: 500, 1000 und 3000.

Wenn die Menschheit alle bekannten Reserven an Kohle, Öl und Gas aus der Erdkruste holt und verbrennt, würde sie rund 3000 Milliarden Tonnen CO2 verursache­n.

Um die von der Wissenscha­ft als gerade noch akzeptabel genannte Grenze einer globalen durchschni­ttlichen Erderwärmu­ng von zwei Grad Celsius (im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit) nicht zu überschrei­ten, dürfen nur noch 1000 Milliarden Tonnen Kohle, Öl und Gas verheizt werden. Zwei Drittel aller bekannten Vorkommen müssen also bleiben, wo sie sind – im Boden.

Machen wir im selben Tempo weiter wie bisher, sind die 1000 Milliarden Tonnen in etwas mehr als 20 Jahren in der Atmosphäre.

Wollen wir die Erwärmung aber auf 1,5 Grad begrenzen, was das Risiko für unsere Kinder und Enkel um einiges verringern würde, muss bei 500 Milliarden Tonnen Schluss sein – das wäre beim jetzigen Tempo in zwölf Jahren. Dann aber null Emissionen. Keine Verbrennun­g mehr, nicht in Automotore­n, Kraftwerke­n, Triebwerke­n, nicht in Fabriksöfe­n oder sonst wo.

Zugegeben, es handelt sich um sehr grobe Schätzunge­n. Sie können nach oben und unten variieren. Doch die Tendenz stimmt.

Noch ein Vergleich gefällig? Wenn Ihr Auto acht Liter Sprit verbraucht, egal ob Diesel oder Benzin, hinterlass­en Sie alle 100 Kilometer einen CO2-Brocken in Gewicht und Größe einer Bierkiste.

Um durchschni­ttlich ein Grad hat sich die Erde bereits erwärmt. Bei uns im Alpenraum, ein besonders sensibles Gebiet, sind es fast zwei Grad. Die Folgen: Hitze- und Dürreperio­den, Monsterstü­rme, Überschwem­mungen, und bei uns in den Bergen: mehr Regen als Schnee. Vielleicht stellen Sie sich einmal vor, wie die Welt und Österreich aussehen, wenn wir noch einmal so viel drauflegen – geschweige denn die Erwärmung auf vier, fünf oder sechs Grad steigt, was durchaus möglich ist, wenn wir nicht schneller umsteuern.

Dabei ist vieles in Bewegung geraten. Wer hätte wohl vor zehn Jahren gedacht, dass die unantastba­r scheinende­n Atom- und Kohlestrom­riesen Europas von der französisc­hen Areva bis zur deutschen RWE einmal ums Überleben kämpfen würden, weil sie die Wende zur sauberen Energie beinahe verschlafe­n hätten?

Wer hätte vor fünf Jahren noch gedacht, dass der Autoindust­rie ein ähnliches Schicksal droht?

Doch der hinhaltend­e Widerstand ist groß. Zu prächtig sind immer noch die Profite der alten Geschäftsm­odelle. Der Abschied von fossilen Brennstoff­en verläuft zu langsam, viel zu langsam.

Und was tut die Politik? Sie steckt ihr Köpferl in den Sand. Tritt auf bei UNO-Konferenze­n. Zögert und zaudert. Tut, als hätte nicht sie das Sagen, sondern die großen Bosse. Wälzt die Verantwort­ung, die ihr von der Gesellscha­ft übertragen ist, ab, indem sie mahnend auf jeden einzelnen Menschen zeigt, statt zu tun, wozu es sie gibt: Rahmenbedi­ngungen schaffen, gesetzlich­e Vorgaben geben, Zeithorizo­nte setzen. Keinen Cent mehr in Kohle, Öl und Gas stecken, die Subvention­en stoppen. Den öffentlich­en Verkehr ausbauen. Riesenförd­erungen für Energieeff­izienz ausschütte­n. Klimaschut­zpläne beschließe­n und deren Einhaltung, das vor allem, genauesten­s prüfen. Druck machen.

Bei den Koalitions­verhandlun­gen in Wien, bei der Bürgermeis­terwahl in Salzburg, bei den Landtagswa­hlen in Österreich nächstes Jahr müsste es nur um eines gehen: Was können wir tun, um die Erde unseren Kindern so zu übergeben, wie wir sie kennen und lieben? Um nichts anderes.

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