Eine Koalition des Misstrauens
Im Grunde müsste Regieren in Deutschland so attraktiv sein wie selten. Bloß verwalten wie bisher geht nicht mehr. Wegen der Zukunftsfragen gilt es Entscheidungen zu treffen – bei Energie und Verkehr, bei Digitalisierung und Bildung. Anders als kriselnde europäische Staaten hat Deutschland dank blühender Wirtschaft die Ressourcen für politisches Gestalten.
Trotzdem schaffen es die nach den Farben der jamaikanischen Nationalflagge benannten Koalitionäre in spe bisher nicht, sich auf den Start von Koalitionsverhandlungen zu verständigen. Zum einen ist die schwarz-gelb-grüne Konstellation neu in der Bundesrepublik. Für eine Große Koalition haben CDU/CSU und SPD genug politische Schnittmengen gefunden. Hingegen sind die bayerische CSU und die Grünen seit jeher über Kreuz. Zum anderen hat Kanzlerin Angela Merkel bisher gezögert, bei den Sondierungen die Regie zu übernehmen. Drittens gleichen diese Sondierungsgespräche schon richtigen Koalitionsverhandlungen, obwohl es die Koalition noch gar nicht gibt. Man definiert nicht nur die großen Projekte, sondern geht gleich in die Details.
Für die deutschen „Jamaikaner“kommt es darauf an, einerseits Kompromisse zu finden, die andererseits bei der eigenen Parteibasis Zustimmung finden. Dies gilt für die Grünen – und noch mehr für die bayerische CSU, in deren Reihen nach dem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl ein Machtgerangel im Gang ist. Mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr setzen die Männer um CSU-Chef Horst Seehofer darauf, dass es in Bayern stets gut ankommt, wenn man in Berlin eine harte Haltung zeigt.
Sicher ist: Eine „Koalition des Misstrauens“kann keinesfalls auf Dauer funktionieren.