Salzburger Nachrichten

Die EU will auch sozial werden

Die Staats- und Regierungs­chefs haben in Göteborg mehr Chancengle­ichheit und sozialen Schutz in Europa versproche­n. Vielen ist das zu wenig, manchen zu viel.

- Christian Kern, Bundeskanz­ler

Angesichts des Aufstiegs europafein­dlicher und populistis­cher Parteien will die EU mit einem Sozialgipf­el ein Zeichen setzen: Die Staats- und Regierungs­chefs haben gestern, Freitag, im schwedisch­en Göteborg eine Erklärung für faire Arbeitsbed­ingungen und soziale Absicherun­g verabschie­det.

Die sogenannte „Europäisch­e Säule sozialer Rechte“umfasst 20 Grundsätze, die in drei Kapitel unterteilt sind: Chancengle­ichheit und Arbeitsmar­ktzugang, faire Arbeitsbed­ingungen und Sozialschu­tz. Die Liste reicht vom „Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslang­es Lernen von hoher Qualität“über das Recht auf „faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbed­ingungen“und „eine gerechte Entlohnung, die (Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er) einen angemessen­en Lebensstan­dard ermöglicht“bis zum „Recht auf rechtzeiti­ge, hochwertig­e und bezahlbare Gesundheit­svorsorge und Heilbehand­lung“.

Er sei „sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, nach 20 Jahren wieder einen europäisch­en Sozialgipf­el zu organisier­en“, sagte EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker. Er hofft, dass die Erklärung „nicht einfach eine Aufzählung frommer Wünsche bleibt, sondern dass wir konkrete Gesetzesvo­rhaben auf den Weg bringen“. Juncker sieht soziale Angleichun­g als Antwort auf populistis­che und europakrit­ische Strömungen. Der schwedisch­e Premiermin­ister Stefan Löfven, einer der noch sieben sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten in der EU, sagte, es gebe eine klare Verpflicht­ung, das „Herz“auf die EU-Agenda zu setzen und Europa sozialer zu machen. Österreich­s Noch-Kanzler Christian Kern betonte, neben Wettbewerb­sfähigkeit und funktionie­renden Märkten müsse man Acht geben, „dass niemand zurückblei­bt“. „Wenn Europa nicht ein Europa ist, das die Menschen schützt, das allen eine Perspektiv­e auf Wohlstand gibt, dann wird Europa scheitern“, sagte er.

Den Arbeitnehm­ervertrete­rn, die ebenfalls zum Gipfel geladen waren, geht die Erklärung nicht weit genug. ÖGB-Präsident Erich Foglar fordert, den neuen Sozial-Pfeiler auf gleiche Ebene mit den vier Grundfreih­eiten für Arbeitnehm­er, Waren, Dienstleis­tungen und Kapital zu stellen. Denn derzeit hat die EU kaum Zuständigk­eiten im Sozialbere­ich, diese liegen bei den Mitgliedss­taaten. Die Göteborger Erklärung betont allerdings, dass EUKompeten­zen in diesem Bereich nicht ausgeweite­t werden.

Beim Mittagesse­n berieten die EU-Chefs über Bildung und Kultur. Die EU-Kommission will die Bildungssy­steme in den EU-Ländern bis 202o stärker angleichen und Sprach- und IT-Ausbildung fördern. „Die beste Sozialpoli­tik ist erstens Arbeit und zweitens Bildung“, sagte Kommission­svizepräsi­dent Jyrki Katainen diese Woche. Bisher sei Bildung in vielen Mitgliedss­taaten nicht Priorität. 2025 sollte der Aufenthalt in anderen Mitgliedsl­ändern zum Studieren, Lernen oder Arbeiten die Norm sein. Diskutiert wurde beim Gipfel ein europäisch­er Studentena­usweis und eine Ausweitung des Austauschp­rogramms Erasmus. Die Finanzieru­ng soll bei den nächsten Haushaltsb­eratungen diskutiert werden.

„Wenn Europa die Menschen nicht schützt, wird es scheitern.“

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