Die EU will auch sozial werden
Die Staats- und Regierungschefs haben in Göteborg mehr Chancengleichheit und sozialen Schutz in Europa versprochen. Vielen ist das zu wenig, manchen zu viel.
Angesichts des Aufstiegs europafeindlicher und populistischer Parteien will die EU mit einem Sozialgipfel ein Zeichen setzen: Die Staats- und Regierungschefs haben gestern, Freitag, im schwedischen Göteborg eine Erklärung für faire Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung verabschiedet.
Die sogenannte „Europäische Säule sozialer Rechte“umfasst 20 Grundsätze, die in drei Kapitel unterteilt sind: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz. Die Liste reicht vom „Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität“über das Recht auf „faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbedingungen“und „eine gerechte Entlohnung, die (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht“bis zum „Recht auf rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung“.
Er sei „sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, nach 20 Jahren wieder einen europäischen Sozialgipfel zu organisieren“, sagte EUKommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er hofft, dass die Erklärung „nicht einfach eine Aufzählung frommer Wünsche bleibt, sondern dass wir konkrete Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen“. Juncker sieht soziale Angleichung als Antwort auf populistische und europakritische Strömungen. Der schwedische Premierminister Stefan Löfven, einer der noch sieben sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in der EU, sagte, es gebe eine klare Verpflichtung, das „Herz“auf die EU-Agenda zu setzen und Europa sozialer zu machen. Österreichs Noch-Kanzler Christian Kern betonte, neben Wettbewerbsfähigkeit und funktionierenden Märkten müsse man Acht geben, „dass niemand zurückbleibt“. „Wenn Europa nicht ein Europa ist, das die Menschen schützt, das allen eine Perspektive auf Wohlstand gibt, dann wird Europa scheitern“, sagte er.
Den Arbeitnehmervertretern, die ebenfalls zum Gipfel geladen waren, geht die Erklärung nicht weit genug. ÖGB-Präsident Erich Foglar fordert, den neuen Sozial-Pfeiler auf gleiche Ebene mit den vier Grundfreiheiten für Arbeitnehmer, Waren, Dienstleistungen und Kapital zu stellen. Denn derzeit hat die EU kaum Zuständigkeiten im Sozialbereich, diese liegen bei den Mitgliedsstaaten. Die Göteborger Erklärung betont allerdings, dass EUKompetenzen in diesem Bereich nicht ausgeweitet werden.
Beim Mittagessen berieten die EU-Chefs über Bildung und Kultur. Die EU-Kommission will die Bildungssysteme in den EU-Ländern bis 202o stärker angleichen und Sprach- und IT-Ausbildung fördern. „Die beste Sozialpolitik ist erstens Arbeit und zweitens Bildung“, sagte Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen diese Woche. Bisher sei Bildung in vielen Mitgliedsstaaten nicht Priorität. 2025 sollte der Aufenthalt in anderen Mitgliedsländern zum Studieren, Lernen oder Arbeiten die Norm sein. Diskutiert wurde beim Gipfel ein europäischer Studentenausweis und eine Ausweitung des Austauschprogramms Erasmus. Die Finanzierung soll bei den nächsten Haushaltsberatungen diskutiert werden.
„Wenn Europa die Menschen nicht schützt, wird es scheitern.“