Der Winter naht
Mit sechs Jahren Verspätung kam ich drauf, dass einem Leben ohne „Game of Thrones“etwas fehlt. Das ist eine TV-Serie, die es seit 2011 gibt. Ich zog mir alle bisherigen 67 Folgen flott hinein, wie einen Roman, bei dem man unmöglich zu lesen aufhören kann. 70 Stunden in wenigen Tagen. Ein Marathon, bei dem man vordringt in Machtkämpfe zwischen Königreichen, in Demütigungsrituale, in Sexismus und Frauenpower. Da rollen Köpfe. Es fließt Blut. Es wird geliebt. Es geht um die ganze Welt, wie wir sie kennen. Und da ist dann noch eine unheimliche Bedrohung jenseits einer riesigen Mauer. Hinter dieser Mauer am Ende herrscht ewiger Winter, dort sind Wildlinge und Untote daheim. Die kommen dann als etwas vermeintlich Fremdes, schwer Fassbares auf uns zu.
Bald ist klar: Diese Gesamtbedrohung degradiert alle anderen Machtkämpfe zu Kinderspielen. Die Metapher für diesen bevorstehenden Kampf gegen das Unheimliche lautet: „Der Winter naht.“Und das stimmt ja auch. Um die neue Kälte zu spüren, kann man sich zum Beispiel die laufenden Koalitionsverhandlungen anschauen. Da wird das Große und Ganze, etwa der Klimawandel, auch nationaler Kleinkrämerei geopfert.
Und um den Winter zu spüren, reicht es auch, wenn ich dieser Tage durch die Stadt schlendere. Da wird wieder verhüttelt und es metastasieren die Weihnachtsmärkte an allen Ecken. Der Winter naht. Und damit man’s nicht gleich spürt, werden auf diesen Märkten Besinnlichkeit und romantische Stimmung angeboten, verkauft aber wird Betäubung und Besinnungslosigkeit.