Salzburger Nachrichten

Der Winter naht

- WWW.SN.AT/FLIEHER

Mit sechs Jahren Verspätung kam ich drauf, dass einem Leben ohne „Game of Thrones“etwas fehlt. Das ist eine TV-Serie, die es seit 2011 gibt. Ich zog mir alle bisherigen 67 Folgen flott hinein, wie einen Roman, bei dem man unmöglich zu lesen aufhören kann. 70 Stunden in wenigen Tagen. Ein Marathon, bei dem man vordringt in Machtkämpf­e zwischen Königreich­en, in Demütigung­srituale, in Sexismus und Frauenpowe­r. Da rollen Köpfe. Es fließt Blut. Es wird geliebt. Es geht um die ganze Welt, wie wir sie kennen. Und da ist dann noch eine unheimlich­e Bedrohung jenseits einer riesigen Mauer. Hinter dieser Mauer am Ende herrscht ewiger Winter, dort sind Wildlinge und Untote daheim. Die kommen dann als etwas vermeintli­ch Fremdes, schwer Fassbares auf uns zu.

Bald ist klar: Diese Gesamtbedr­ohung degradiert alle anderen Machtkämpf­e zu Kinderspie­len. Die Metapher für diesen bevorstehe­nden Kampf gegen das Unheimlich­e lautet: „Der Winter naht.“Und das stimmt ja auch. Um die neue Kälte zu spüren, kann man sich zum Beispiel die laufenden Koalitions­verhandlun­gen anschauen. Da wird das Große und Ganze, etwa der Klimawande­l, auch nationaler Kleinkräme­rei geopfert.

Und um den Winter zu spüren, reicht es auch, wenn ich dieser Tage durch die Stadt schlendere. Da wird wieder verhüttelt und es metastasie­ren die Weihnachts­märkte an allen Ecken. Der Winter naht. Und damit man’s nicht gleich spürt, werden auf diesen Märkten Besinnlich­keit und romantisch­e Stimmung angeboten, verkauft aber wird Betäubung und Besinnungs­losigkeit.

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Bernhard Flieher

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