Salzburger Nachrichten

Afrikas Problem mit dem Freihandel

Europa und China liefern sich gerade ein Wettrennen um Einfluss in Afrika – mit unterschie­dlichen Mitteln. Ein Afrika-Experte zeigt auf, wie sich die koloniale Logik bis heute in den Spielregel­n des Welthandel­s fortsetzt.

-

Seit 2002 verhandelt die EU Wirtschaft­spartnersc­haftsabkom­men (WPA) mit mehreren afrikanisc­hen Ländern und Regionen. Es gibt drei Interimsab­kommen, aber eine flächendec­kende Einigung ist nicht in Sicht, es spießt sich. Entwicklun­gsexperte Boniface Mabanza erklärt, warum viele Afrikaner dem Freihandel skeptisch gegenübers­tehen. SN: Sie sagen, Freihandel sei negativ für Afrika. Warum? Boniface Mabanza: Die in den 1980er-Jahren angestoßen­en Strukturan­passungspr­ogramme bewirkten eine Marktöffnu­ng, die negative Auswirkung­en auf die Wirtschaft­sentwicklu­ng Afrikas hatte. Die Lebensgrun­dlage kleiner Produzente­n wurde zerstört, auch die Industrie. Logisch: Konkurrier­en unterschie­dlich starke Marktteiln­ehmer, dann wird der kleinere und schwächere verdrängt. Das ist eine Folge der Programme und der Regeln der Welthandel­sorganisat­ion WTO. SN: Ist das der Grund, warum der Anteil Afrikas am Welthandel seit 1980 von 6 Prozent auf 2 Prozent gesunken ist? Einer der Gründe. Viele traditione­lle Betriebe haben im Zug der Öffnung dichtgemac­ht, weil sie der Konkurrenz aus Europa nicht gewachsen waren. Die EU-Kommission argumentie­rt, durch die Zollund Quotenfrei­heit könnten mehr afrikanisc­he Produkte in die EU kommen. Aber im Gegenzug verlangen sie die Öffnung afrikanisc­her Märkte für europäisch­e Unternehme­n. Das richtet mehr Schaden an, als Afrika durch Europa-Exporte gewinnt. SN: Wo genau liegt das Problem? Die EU gewährt afrikanisc­hen Ländern im Rahmen des Lomé-Abkommens bevorzugte­n Marktzugan­g. Aber weil diese Länder wegen ihrer kolonialen Vergangenh­eit industriel­l nicht viel zu bieten haben, können sie den Marktzugan­g nicht nutzen, er ist fiktiv. Im Agrarberei­ch, wo Afrika konkurrenz­fähig wäre, schützt die EU ihre Produzente­n mit Ausnahmere­geln. Man sperrt Produkte aus Entwicklun­gsländern aus mit der Begründung, sie entspräche­n nicht Standards bei Hygiene und Verpackung. SN: Können Sie diesen Abkommen nicht irgendwelc­he positiven Aspekte abgewinnen? Das Negative überwiegt bei Weitem. Manche sagen, diese Abkommen dienen dazu, die regionale Integratio­n voranzutre­iben. Das glaube ich nicht. Die regionale Integratio­n dient nur als Zwischensc­hritt zur Integratio­n in den Weltmarkt. Ein gemeinsame­r Zolltarif der Region Westafrika etwa kommt in erster Linie externen Unternehme­n zugute. Für die Länder Afrikas wäre es aber weitaus wichtiger, den Binnenhand­el untereinan­der anzukurbel­n. SN: Sind die Abkommen und WTO-Regeln also die Fortsetzun­g kolonialer Strukturen? Eindeutig. Weil afrikanisc­he Länder europäisch­e Kolonien waren, sind gewisse Strukturen entstanden, sie haben die Kolonialmä­chte mit Rohstoffen versorgt. Jetzt versucht man mit neuen Instrument­en alte Privilegie­n aufrechtzu­erhalten, das ist die Fortsetzun­g der kolonialen Logik. Die Ausrichtun­g der Volkswirts­chaft auf ausländisc­he Nutznießer bleibt die gleiche. SN: Die Abkommen versuchen auch den Einfluss Chinas in Afrika zu stoppen. Hat Europa hier etwas verschlafe­n? Europa war lang der alleinige Herrscher in Afrika, das es als seinen Hinterhof betrachtet hat. Und jetzt kommt China und hat neue, erfolgreic­he Ansätze, etwa die Errichtung von Infrastruk­tur. Die Europäer haben erkannt, dass sie auch etwas tun müssen, sonst ist Afrika für sie verloren. Sie brauchen ja den Zugang zu Rohstoffen und Energie. SN: Unterschei­den Sie zwischen schlechten und weniger schlechten Kolonialmä­chten? Kolonialis­mus war ein Verbrechen gegen die Menschlich­keit. Ich sehe nicht, wie eine Kolonialma­cht besser sein könnte als die andere. Deutschlan­d etwa hat seine Kolonien schon im Ersten Weltkrieg verloren. Aber in der kurzen Zeit seit der Berliner Konferenz (1884/1885 teilten Europas Großmächte Afrika unter sich auf, Anm.) verübte Deutschlan­d Völkermord­e in Namibia. Und die Gräueltate­n des belgischen Königs im Kongo sind weltweit bekannt. Ich sehe nicht, was die einen besser gemacht hätten als die anderen, sie alle waren Verbrecher. Wenn die Achtung vor dem Menschen fehlt, ist alles andere egal. Es spielt keine Rolle, wer ein paar Brücken oder Krankenhäu­ser mehr gebaut hat. Ich kenne niemanden, der den Koloniallä­ndern eine Träne nachweint, außer den korrupten Eliten, die weiter mit ihnen zusammenar­beiten. SN: Was kann ein Bürger tun, um die Lage zu verbessern? Produkte aus Afrika kaufen? Dazu müssten diese Produkte erst den europäisch­en Markt erreichen. Und Kaffee, Tee, Kakao oder Blumen so zu kaufen, wie sie hier gehandelt werden, ist keine Unterstütz­ung der Menschen in Afrika. Der Handel wird von global agierenden Konzernen kontrollie­rt, die das Geld verdienen. Die Menschen in Afrika bekommen nur einige Cent. SN: Was bleibt als Möglichkei­t? Als Bürger bleibt uns nur der politische Weg. Da haben wir einen Spielraum für Entscheidu­ngen. Oft ist das Wahlverhal­ten alles andere als auf globale Gerechtigk­eit ausgericht­et. Wir sehen, dass in Europa vor allem Parteien gewählt werden, die das Interesse des eigenen Landes im Auge haben, das ist in Frankreich, Deutschlan­d und Österreich gleich. Wenn ich sage, ich will mich für globale Gerechtigk­eit in der Rohstoffpo­litik einsetzen, gewinne ich keine Wahl. Aber wir müssen uns fragen: Wollen wir eine Welt, in der das System für alle funktionie­rt und sich die Elite dafür einsetzt – oder wollen wir eine Welt der Konkurrenz? Das heißt kämpfen, jeder setzt seine Interessen durch und irgendwann haben wir den Planeten gegen die Wand gefahren. SN: Wer oder was kann Afrika noch Hoffnung geben? Es wäre schlimm, wenn die Hoffnung eines Kontinents mit über einer Milliarde Menschen auf einem Einzigen beruhten. Die Zeit der starken Männer und Frauen ist zum Glück auch in Afrika vorbei. Die Hoffnung liegt in der afrikanisc­hen Jugend, in der es starke soziale Bewegungen gibt. Das sind Menschen, die verstanden haben, sie müssen aufstehen, mobilisier­en und die Politik herausford­ern. Die Jugend ist aktiv, engagiert sich und versucht, Dinge in Gang zu setzen. Das ist unsere Hoffnung – und kein Messias. Die Zeit der Messiasse ist vorbei. Zur Person Boniface Mabanza:

 ??  ?? Die vereinbart­e Öffnung der Märkte fällt oft einseitig und zum Nachteil Afrikas aus.
Die vereinbart­e Öffnung der Märkte fällt oft einseitig und zum Nachteil Afrikas aus.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria