Eine Ode an den November
ICHverstehe die enthusiastische Sommerschwärmerei einiger meiner sonst sehr geschätzten Kollegen nicht. So zu tun, als könne man nur bei 35-plus-Graden, lauen Gelsennächten, Hautbrutzeln, Zeckengefahr und allergischen Niesanfällen im Strandbad sowie ewig gleichen Macho-Grillritualen existieren, erachte ich als fragwürdig. Ebenfalls unverständlich: das obligate NovemberBashing derselben.
Versuch einer Gerechtigkeit für den elften Monat im Jahr: Ist es nicht aufbauend, mit dem der Winterkiste entnommenen Kuschelpullover einen Spaziergang durch die unglaublich bunte spätherbstliche Landschaft zu machen? Dem Fallen der Blätter zuzusehen, den ersten Schneewind auch olfaktorisch zu genießen, Kastanien zu sammeln und nachher ein duftendes Arnika-Vollbad, das den ganzen Körper anregt, zu nehmen. Grau, nass, kalt? Na und? Ein optimaler Zeitpunkt, um Freunde einzuladen, stundenlang DKT zu spielen, elf Folgen der Serie „Die Sopranos“hintereinander anzusehen oder „Singlepartys“– jeder Gast nimmt fünf Single-Schallplatten mit, spielt sie und spricht darüber – zu veranstalten. Cocooning, aber richtig.
Novemberblues kommt bei mir nicht auf. Ich liebe Flutlicht-Fußballspiele im feuchtkühlen Ambiente, auch Kinobesuche machen mehr Freude als in Augustnächten, in denen die Klimaanlage aus dem Kinosaal einen Gefrierschrank macht. Die frühe Dunkelheit im November ist ein guter Anlass, die Kisten mit den Jugenderinnerungen durchzusehen, sich den einst selbst verfassten Gedichten zu stellen – „Das habe ich geschrieben?“–, in der Autogrammkartensammlung von Mario Andretti bis Otto Wanz zu schmökern, T-Shirts und Sakkos zu reduzieren, Rechnungen zu sortieren, kurz: das eigene Leben in den Griff zu bekommen. Sonst hat man ohnehin immer Besseres zu tun.
Der Song „Distant Sky“von Nick Cave ist eine Art November-Soundtrack. Bewegend. In keinem Monat schlafe ich besser, tiefer und länger als im November, der auf Weihnachten einstimmt, ohne Dezemberhektik zu versprühen. Kulinarisch? Ich sage nur: Kürbiscremesuppe, Breinwurst, Sauerkraut, Kastanienreis. Deftig, heftig, köstlich. So wie der November eben.