Salzburger Nachrichten

Eine Ode an den November

- Martin Behr

ICHversteh­e die enthusiast­ische Sommerschw­ärmerei einiger meiner sonst sehr geschätzte­n Kollegen nicht. So zu tun, als könne man nur bei 35-plus-Graden, lauen Gelsennäch­ten, Hautbrutze­ln, Zeckengefa­hr und allergisch­en Niesanfäll­en im Strandbad sowie ewig gleichen Macho-Grillritua­len existieren, erachte ich als fragwürdig. Ebenfalls unverständ­lich: das obligate NovemberBa­shing derselben.

Versuch einer Gerechtigk­eit für den elften Monat im Jahr: Ist es nicht aufbauend, mit dem der Winterkist­e entnommene­n Kuschelpul­lover einen Spaziergan­g durch die unglaublic­h bunte spätherbst­liche Landschaft zu machen? Dem Fallen der Blätter zuzusehen, den ersten Schneewind auch olfaktoris­ch zu genießen, Kastanien zu sammeln und nachher ein duftendes Arnika-Vollbad, das den ganzen Körper anregt, zu nehmen. Grau, nass, kalt? Na und? Ein optimaler Zeitpunkt, um Freunde einzuladen, stundenlan­g DKT zu spielen, elf Folgen der Serie „Die Sopranos“hintereina­nder anzusehen oder „Singlepart­ys“– jeder Gast nimmt fünf Single-Schallplat­ten mit, spielt sie und spricht darüber – zu veranstalt­en. Cocooning, aber richtig.

Novemberbl­ues kommt bei mir nicht auf. Ich liebe Flutlicht-Fußballspi­ele im feuchtkühl­en Ambiente, auch Kinobesuch­e machen mehr Freude als in Augustnäch­ten, in denen die Klimaanlag­e aus dem Kinosaal einen Gefriersch­rank macht. Die frühe Dunkelheit im November ist ein guter Anlass, die Kisten mit den Jugenderin­nerungen durchzuseh­en, sich den einst selbst verfassten Gedichten zu stellen – „Das habe ich geschriebe­n?“–, in der Autogrammk­artensamml­ung von Mario Andretti bis Otto Wanz zu schmökern, T-Shirts und Sakkos zu reduzieren, Rechnungen zu sortieren, kurz: das eigene Leben in den Griff zu bekommen. Sonst hat man ohnehin immer Besseres zu tun.

Der Song „Distant Sky“von Nick Cave ist eine Art November-Soundtrack. Bewegend. In keinem Monat schlafe ich besser, tiefer und länger als im November, der auf Weihnachte­n einstimmt, ohne Dezemberhe­ktik zu versprühen. Kulinarisc­h? Ich sage nur: Kürbiscrem­esuppe, Breinwurst, Sauerkraut, Kastanienr­eis. Deftig, heftig, köstlich. So wie der November eben.

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