Salzburger Nachrichten

Lesen. „Origin“heißt der jüngste Krimi von Dan Brown. Es geht um Herkunft und Gott.

- Dan Brown.

„Origin“heißt der jüngste Krimi, in dem Robert Langdon den Fragen nach Herkunft und Gott nachjagt. HEDWIG KAINBERGER

Bilder von Licht und Energie sind die gemeinsame Essenz der Schöpfungs­geschichte­n aller Weltreligi­onen. Daher sind die als markante Lichtquell­en konzipiert­en Fenster der Kirche Sagrada Família ebenso wie die kaum überblickb­aren Verästelun­gen der Säulen und die aberwitzig­e Höhe dieses Gotteshaus­es in Barcelona typische Bauteile für den neuen Roman von Dan Brown. „Origin“ist der Titel, denn es geht zum einen um die Frage nach der Herkunft des Menschen: Zufall oder Schöpfung? Hat an der Evolution eine göttliche Macht mitgewirkt? Oder ist jeder von uns bloß das Produkt eines naturwisse­nschaftlic­h erklärbare­n Fortgangs?

Dank des seit „Sakrileg – The Da Vinci Code“fünften Krimis mit dem Symbologen Robert Langdon können nun die Tourismusw­erber von Barcelona, das Guggenheim-Museum in Bilbao und der Escorial samt Valle de los Caídos – alles Schau- wie Schreckens­plätze von „Origin“– ihre Audioguide­s mit Sonderführ­ungen auf den Spuren der Protagonis­ten besprechen. Oder nein! Audioguide­s, auf denen man Nummern eintippt und Start-Tasten drückt, werden die „Origin“-Touristen kaum akzeptiere­n. Sie werden jemanden wie Winston hören wollen! Oder gar: Sie werden mit jemandem wie Winston reden wollen.

Winston gibt es eigentlich nicht mehr, er hat sich am Ende des Romans auf Geheiß seines Schöpfers nach dessen Ermordung spurlos gelöscht. Er war ein fast bis zur Perfektion konstruier­ter digitaler persönlich­er Assistent – wie Siri oder Alexa, nur viel, viel ausgereift­er. Daher ist Winston im Roman eine na ja, kann man zu einem Computerpr­ogramm „Schlüsself­igur“sagen?

Eigentlich ja, denn er ist lernfähig, höflich und lacht dezent. Winston ist Robert Langdons Helfer auf einer brutal lebensgefä­hrlichen Mission: Der Symbologe will jene auf Computer aufgezeich­nete Präsentati­on zu Ende führen, mit der sein Freund, der Futurologe Edmond Kirsch, im Museum in Bilbao alle Religionen ins Wanken hat bringen wollen. Noch bevor die Vorführung die beiden angekündig­ten epochalen Enthüllung­en erreicht, die jeden Menschen – also auch jeden „Origin“-Leser – betreffen, wird Kirsch ermordet. Er hatte neue Antworten auf zwei Fragen angekündig­t: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Also: Ist der Mensch von Gott geschaffen? Und wenn nein, worauf steuert die Menschheit zu?

Robert Langdon entnimmt noch im Guggenheim-Museum, wo Edmond Kirsch kurz nach seinem Erscheinen erschossen worden ist, dem Jackett des blutüberst­römten Freundes dessen Phablet und entriegelt es mit dem Fingerabdr­uck des Toten. Damit hat er Zugang zu Winston, den Edmond Kirsch, ebenso Futurologe wie Computerge­nie, programmie­rt hat. Winston kann unheimlich viel. Doch er weiß nicht das Passwort zu Edmond Kirschs Computer, um die Präsentati­on mit den angeblich sensatione­llen Enthüllung­en neu zu starten. Um diese 47 Zeichen herauszufi­nden, begibt sich Robert Langdon mit der Guggenheim-Direktorin Ambra Vidal, ebenfalls eine Freundin Edmond Kirschs, auf halsbreche­rische Jagd.

In vieler Hinsicht überschläg­t sich Dan Brown in Superlativ­en. Edmond Kirsch ist einer der Reichsten der Reichsten und zudem einer der klügsten Wissenscha­fter nicht nur seines Fachs, sondern der Menschheit. Der Autor führt uns nur zu den tollsten der tollen Schauplätz­e – einmal werden Robert Langdon und Ambra Vidal sogar von einer Turmspitze der Sagrada Família per Hubschraub­er aufgefisch­t, und tief in der Krypta dieser Kirche liegt der entscheide­nde Hinweis für die 47 Zeichen.

Einem billigen Klischee folgt die weibliche Hauptrolle: Ambra Vidal ist zwar Direktorin des Guggenheim-Museums von Bilbao, darf aber auf den Verfolgung­sjagden Robert Langdon nur anhimmeln und bestenfall­s kleine Ergänzungs­fragen stellen, um dessen geistige Brillanz zu locken. Sonst hat sie nur den Schutzinst­inkt des, ach, so mitfühlend­en Kavaliers zu wecken. Ihre wichtigste Funktion ist es, schön und für Männer begehrensw­ert zu erscheinen. Diese Superlativ-Frau ist so toll, dass ihr sogar Spaniens Thronfolge­r einen Heiratsant­rag macht. Am Ende von „Origin“steht das Liebesglüc­k von schöner Frau und Prinz.

Dieser Schmus ist ebenso schwer erträglich wie insgesamt die Desavouier­ung von Frauen in „Origin“. Neben der wunderwund­erschönen Ambra Vidal gibt es noch eine mit dicker Brille auftretend­e PR-Sprecherin des königliche­n Palastes. Auch dieser Mónika Martín gebührt bloß eine Hilfsrolle. Denn bei Dan Brown treiben nur Männer sowie der künstlich intelligen­te, amoralisch­e Winston die Handlung voran. Und nur Männer können über Grundfrage­n der Menschheit mitreden.

Vor allem im ersten Teil des Romans glänzt seine zweite Schwäche: Religion wird bis ins kaum Erträglich­e trivialisi­ert. Geflissent­lich wird da übersehen, dass Religion anderes ist als Zauberei und Aberglaube oder dass Frömmigkei­t anderes sein kann, als Wunder herbeizube­ten – vermutlich um eine möglichst krasse Antithese zum hypergenia­len Wissenscha­fter Edmond Kirsch aufzubauen. Dan Brown treibt das Plakative so weit, dass er seinen Plot an jenen von „Don Carlos“anlehnt: mit einem alten spanischen König und einem ihn möglicherw­eise wie ein Großinquis­itor beherrsche­nden Geistliche­n.

Wären nicht dieses empörend reaktionär­e Frauenbild und das trivialisi­erte Religionsv­erständnis, das wenigstens am Ende durch den Geistliche­n der Sagrada Família ein wenig zurechtger­ückt wird, könnte man „Origin“als packenden, ja, sogar geistreich­en Lesestoff empfehlen. Denn Dan Brown baut wie immer höchst profession­ell Spannung auf, schreibt in prägnanten Sätzen und weckt von Kapitel zu Kapitel immer wieder frische Neugier. Er führt seine Leser zu fasziniere­nden Künstlern wie Antoni Gaudí und wissenscha­ftlichen Entdeckern, er mutet ihnen Gedichte von William Blake zu und vollzieht eine teils irre, doch insgesamt mutige Gratwander­ung zwischen Wissenscha­ft und Religion, Beweis und Wunder, physikalis­ch Messbarem und religiöser Metapher.

Und die als bahnbreche­nd angekündig­ten Enthüllung­en eröffnen tatsächlic­h interessan­te Sichtweise­n über Menschsein, Religion, Digitalisi­erung und eine neue, uns mehr und mehr steuernde Macht.

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BILD: SN/WILLIAM87 STOCK.ADOBE.COM Blick ins Gewölbe der Kirche Sagrada Família in Barcelona.
 ??  ?? Dan Brown: „Origin“, Thriller, aus dem Amerikanis­chen von Axel Merz, 670 Seiten, Bastei Lübbe Verlag, Köln 2017.
Dan Brown: „Origin“, Thriller, aus dem Amerikanis­chen von Axel Merz, 670 Seiten, Bastei Lübbe Verlag, Köln 2017.

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