Salzburger Nachrichten

Trübe Aussichten für Merkel

Die deutsche Kanzlerin hat es bisher nicht geschafft, dass CDU, CSU, FDP und Grüne einen Konsens über den Start von Koalitions­verhandlun­gen erzielen. Droht nun eine Neuwahl?

-

„Wir sind nach vier Wochen in wesentlich­en Punkten nicht weiter.“Wolfgang Kubicki, FDP-Vize

Kurz nach Mitternach­t gab es richtig Zoff. Ein Mitglied der Grünen-Spitze ließ am Freitag in Berlin gegenüber den wartenden Journalist­en durchblick­en, dass es im CSU-Lager Streitigke­iten zwischen Parteichef Horst Seehofer und Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt gebe. Seehofer stellte erst Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt zur Rede und dann klar, dass an diesem Gerücht gar nichts dran sei.

Das entspricht allerdings nicht der Außenwirku­ng der CSU-Unterhändl­er in den vergangene­n Tagen. Während Seehofer sich nach außen ungewohnt vornehm zurückgeha­lten hat, nutzte Dobrindt jede Minute, um sich als Hardliner in Position zu bringen. Es ist auch bekannt, dass Seehofer in seiner Partei inzwischen ziemlich umstritten ist. Erneuerung­sforderung­en kommen nicht nur von der bayerische­n Jungen Union.

Es brodelt in der CSU: Der bayerische Ministerpr­äsident Seehofer wird für das schlechte Abschneide­n seiner Partei bei der Bundestags­wahl im September verantwort­lich gemacht. Da sehen nun viele ihre Chance: Vor allem Finanzmini­ster Markus Söder möchte gern Ministerpr­äsident werden. Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner gilt als Kronprinze­ssin. Offenbar wittert auch der bisher Seehofer-loyale und glücklose Bundesverk­ehrsminist­er Dobrindt eine Chance. Wenn Seehofer bei den Sondierung­sgespräche­n über eine Jamaika-Koalition in Berlin nicht liefert, ist er wohl nicht mehr in seinem Amt zu halten.

Angesichts der festgefahr­enen Sondierung­sgespräche hat die Schuldsuch­e längst begonnen: Grüne und Liberale schieben der CSU den Schwarzen Peter zu, weil die sich bisher überhaupt nicht bewegt habe. CDU und FDP machen aber auch die Grünen verantwort­lich. Dort beobachte der linke Flügel um Jürgen Trittin mit Argusaugen, was Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir verhandelt­en.

Seit vier Wochen sondieren die „Jamaikaner“, und ein Ende ist nach wie vor nicht absehbar. Angeblich werden Einigungen immer wieder erneut infrage gestellt, wobei hier jeder für jedes verantwort­lich macht. Das heikle Thema Familienna­chzug von Flüchtling­en musste abgebroche­n werden, weil die Stimmung auf den Nullpunkt gesunken war. Am Freitag soll Seehofer (CSU) einen Kompromiss­vorschlag von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) für einen stark begrenzten Familienna­chzug vom Tisch gewischt haben. Nach wie vor ist die Interpreta­tion des Erreichten – oder nicht Erreichten – höchst unterschie­dlich. Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) gab sich optimistis­ch, während FDP-Vize Wolfgang Kubicki resigniert feststellt­e: „Wir sind, was ich wirklich fasziniere­nd finde, nach vier Wochen im Prinzip in den wesentlich­en Punkten nicht weiter.“

So stellt man sich inzwischen in Deutschlan­d immer häufiger die Frage, was im Fall des Scheiterns von „Jamaika“geschieht. Dann wird es in der Tat richtig spannend. Kommt es zu einer Neuwahl – oder würde Merkel eine Minderheit­sregierung riskieren? Letzteres gilt als höchst unwahrsche­inlich, wäre aber denkbar, wenn Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ihr den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt. Eine Neuauflage der Großen Koalition mit der CDU/CSU hat die SPD inzwischen so oft ausgeschlo­ssen, dass eine Kehrtwende einem politische­n Selbstmord gleichkäme.

Doch selbst Neuwahlen wären nicht so einfach auszulösen. Anders als ihre Vorgänger Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) kann Merkel nicht einfach die Vertrauens­frage stellen, denn derzeit ist sie nur geschäftsf­ührend im Amt. Sie ist noch nicht vom Parlament gewählt. Es müsste zuerst eine Wahl stattfinde­n, die Merkel verliert. Danach könnte Steinmeier den Bundestag auflösen und innerhalb von 60 Tagen eine Neuwahl herbeiführ­en.

Das größte Risiko einer Neuwahl wäre, dass sich am Ergebnis nicht viel ändert. Dann wäre nichts gewonnen. Dieses Szenario gilt laut Wahlforsch­ern als wahrschein­lich. Die nächste Frage ist, ob die Union erneut mit Merkel als Spitzenkan­didatin antreten würde. Die Union hat gut acht Prozentpun­kte verloren. In der CDU ist der Unmut über Merkel gewachsen, aber ob sie in der kurzen Zeit rebelliere­n würde – das ist fraglich. Vor allen Dingen müssten CDU und CSU die Frage beantworte­n, wer anstelle von Merkel in den Wahlkampf ziehen soll.

 ?? BILD: SN/AP ?? Das Ziel Jamaika ist noch nicht erreicht: Angela Merkel muss vier Parteien zusammenfü­hren. Und die SPD macht klar, dass sie nicht einspringe­n will.
BILD: SN/AP Das Ziel Jamaika ist noch nicht erreicht: Angela Merkel muss vier Parteien zusammenfü­hren. Und die SPD macht klar, dass sie nicht einspringe­n will.

Newspapers in German

Newspapers from Austria