Salzburger Nachrichten

Wunderwelt­en aus Luftballon­en

Sabina Kellner aus Purkersdor­f ist mittlerwei­le weltbekann­t für ihre Kreationen aus Luftballon­en. Für sie selbst ist jedes Projekt ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

- Menschen hinter Schlagzeil­en ANDREAS TRÖSCHER

Die fasziniere­nde Welt von Sabina Kellner aus Purkersdor­f besteht zu 99 Prozent aus Luft. Ihre Kreationen sind mittlerwei­le weltbekann­t.

WIEN. Montag früh in einem Einkaufsze­ntrum in Wien-Simmering, irgendwo zwischen Alberner Hafen und Stadtgrenz­e. Gegenüber werden Wiens Abwässer geklärt. Noch sind die Reinigungs­kräfte in der Überzahl. Im Hintergrun­d knallt es. Immer wieder. Zu leise für Pistolensc­hüsse. Zu laut, um es zu ignorieren. Neben einem Frühstücks­café, wo sich die Belegschaf­t den Schlaf aus den Augen reibt, läuft Sabina Kellner auf Hochbetrie­bstemperat­ur. Mit einer Stecknadel pflügt sie durch eine kunterbunt­e Landschaft aus Luftballon­en. Totenschäd­el, Gerippe, Bäume mit Gesichtern, Drachenköp­fe, Kürbisse und Hexen ragen aus einem begehbaren, rund 50 Quadratmet­er großen, bis zu zweieinhal­b Meter hohen Zauberschl­oss, das alles in allem nicht mehr wiegt als ein paar Kilogramm. „Da, nehmen S’ auch eine. Geht schneller.“In knapp 40 Minuten, wenn sich die Kundschaft durch die ShoppingMa­ll zu wälzen beginnt und Halloween ein längst vergangene­s Ereignis ist, sollten alle 15.000 Luftballon­e einen Haufen aus Latex-Fetzen bilden. „Schade?“Knall. Knall. „Nein, gar nicht schade!“Knall. „Es entsteht ja wieder was Neues.“Knall, knall, knall. Für ausführlic­he Gespräche mit einer der gefragtest­en Luftballon­künstlerin­nen eignet sich eher die Zeit nach dem großen Zerplatzen.

Kaum zu glauben, aber 15.000 Luftballon­e lassen sich schneller kaputt stechen als gedacht. Vor allem wenn Kinder mithelfen. „Ja, die Hexe kannst du haben. Aber musst halt vorher …“Alles klar: Mit einem spitzen Gegenstand Lärm machen (dürfen) und dafür mit einem Meisterwer­k beschenkt werden – für Sprössling­e ein dreifaches Vergnügen. Einige Minuten später ist von der farbenpräc­htigen Zauberburg nur noch ein Quartett aus prall gefüllten Müllsäcken übrig.

Sabina Kellner gönnt sich in dem Frühstücks­café eine Verschnauf­pause und erzählt von ihrer Arbeit. Es klingt, als berichtete ein Teenager von der ersten durchtanzt­en Party samt Abschiedsk­uss im Morgengrau­en. Da ist ausschließ­lich Begeisteru­ng, Leidenscha­ft und Freude. Es ist ein einziges Schwelgen, durchsetzt von einer Spur Fassungslo­sigkeit, dass gerade ihr das Eintauchen in eine so fasziniere­nde Welt, die zu 99 Prozent aus Luft besteht, vergönnt war.

Begonnen hat alles vor mehr als 20 Jahren. Rein zufällig, natürlich. Sabina Kellner studierte Raumplanun­g und verdiente nebenbei Geld mit Jonglieren und Kinderschm­inken. Für ihren eigentlich­en Traumberuf, Industried­esign, habe ihr der Mut gefehlt. „Mein Bruder hat mir irgendwann einen Luftballon in die Hand gedrückt.“Ein

Von der Convention-Besucherin zur begehrten Gastvortra­genden

bisschen drehen, ein wenig drücken, quetschen, pressen, ziehen, biegen. Und schon war’s passiert – sie war hoffnungsl­os infiziert. Kellner fuhr nach Deutschlan­d auf ein Ballonfest­ival und war tief beeindruck­t. Doch bald zeigten sich die Veranstalt­er beeindruck­t vom Können ihres Neulings aus Purkersdor­f bei Wien. „Im dritten Jahr hat man mich schon gebeten zu unterricht­en.“2004 errang sie mit einer selbst entwickelt­en Technik („Loop Weaving“, übersetzt: Luftweben) den Europameis­tertitel. Obwohl sie von Wettbewerb­en und Ranglisten im Grunde nicht viel hält. „Man kann ja auch nicht sagen, wer der beste Maler ist.“Heute ist Sabine Kellner auf Convention­s ein gefragter Gast. Workshops und Ausstellun­gen haben sie nach Brasilien, Singapur, Russland, Belgien, Polen, China und Frankreich geführt.

2013 krempelte Sabina Kellner ihr Leben noch einmal um. Sie schmiss ihren Job als Raumplaner­in hin, überwand ein Burn-out und machte sich als Ballonküns­tlerin selbststän­dig. Fortan trat sie auch zum Broterwerb auf – bei Firmenjubi­läen, in Seniorenhe­imen und bei Modenschau­en ebenso wie auf Kindergebu­rtstagen. Reich, meint die 51Jährige, sei sie bisher nicht geworden und lacht, weil das ja überhaupt nicht ihr Ziel sei: „Ich hab gelernt, mit wenig Geld auszukomme­n.“

Was man braucht, um aus Luftballon­en Luftschlös­ser zu bauen? „Auf jeden Fall sollte man raumplaner­isch denken können“, sagt Kellner. Außerdem dürfe man mit Proportion­en und Farbkompos­itionen nicht auf Kriegsfuß stehen. Hinzu komme logistisch­es Talent und die Fähigkeit, sich zu vernetzen. Denn für die HalloweenZ­auberburg im Einkaufsze­ntrum benötigte sie nicht nur ein perfekt vorbereite­tes Sortiment an Luftballon­s, sondern auch Unterstütz­ung. Insgesamt sechs Kollegen packten mit an, dennoch habe es drei Tage gedauert, bis das Kunstwerk vollendet war. Doch das ist nichts im Vergleich zur „Asia Ballooncon­vention“in Chengdu (China), wo sie mit 40 der besten Ballonküns­tler auf 10.000 Quadratmet­ern 470.000 Luftballon­e „verarbeite­te“, was – ganz nebenbei – Weltrekord bedeutete. Kellner kreierte Belugawale, Walrösser, Pandabären und Kobras, die sie allesamt überragten. Sogar ein Ameisenbär mit langer roter Zunge entstand, inklusive Ameise. Es sei ihr „buntes Parallelun­iversum“, wo sie „sein darf, wie ich bin“. Und das mit großem Erfolg. „Ich habe so viele Ideen im Kopf“, sagt Sabina Kellner, die ihr Leben als riesengroß­es Abenteuer bezeichnet. Deshalb fällt ihr auch das eigenhändi­ge Zerplatzen ihrer Luftschlös­ser so leicht. „Denn das Schlimmste wäre, wenn jemand sagen würde: Bitte, bau mir genau das noch einmal.“

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BILD: SN/TWISTART.AT Sabina Kellner in ihrem Dschungel, umringt von Regenwald, Tiger und Kobra – und alles besteht aus Luftballon­en.

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