Wunderwelten aus Luftballonen
Sabina Kellner aus Purkersdorf ist mittlerweile weltbekannt für ihre Kreationen aus Luftballonen. Für sie selbst ist jedes Projekt ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Die faszinierende Welt von Sabina Kellner aus Purkersdorf besteht zu 99 Prozent aus Luft. Ihre Kreationen sind mittlerweile weltbekannt.
WIEN. Montag früh in einem Einkaufszentrum in Wien-Simmering, irgendwo zwischen Alberner Hafen und Stadtgrenze. Gegenüber werden Wiens Abwässer geklärt. Noch sind die Reinigungskräfte in der Überzahl. Im Hintergrund knallt es. Immer wieder. Zu leise für Pistolenschüsse. Zu laut, um es zu ignorieren. Neben einem Frühstückscafé, wo sich die Belegschaft den Schlaf aus den Augen reibt, läuft Sabina Kellner auf Hochbetriebstemperatur. Mit einer Stecknadel pflügt sie durch eine kunterbunte Landschaft aus Luftballonen. Totenschädel, Gerippe, Bäume mit Gesichtern, Drachenköpfe, Kürbisse und Hexen ragen aus einem begehbaren, rund 50 Quadratmeter großen, bis zu zweieinhalb Meter hohen Zauberschloss, das alles in allem nicht mehr wiegt als ein paar Kilogramm. „Da, nehmen S’ auch eine. Geht schneller.“In knapp 40 Minuten, wenn sich die Kundschaft durch die ShoppingMall zu wälzen beginnt und Halloween ein längst vergangenes Ereignis ist, sollten alle 15.000 Luftballone einen Haufen aus Latex-Fetzen bilden. „Schade?“Knall. Knall. „Nein, gar nicht schade!“Knall. „Es entsteht ja wieder was Neues.“Knall, knall, knall. Für ausführliche Gespräche mit einer der gefragtesten Luftballonkünstlerinnen eignet sich eher die Zeit nach dem großen Zerplatzen.
Kaum zu glauben, aber 15.000 Luftballone lassen sich schneller kaputt stechen als gedacht. Vor allem wenn Kinder mithelfen. „Ja, die Hexe kannst du haben. Aber musst halt vorher …“Alles klar: Mit einem spitzen Gegenstand Lärm machen (dürfen) und dafür mit einem Meisterwerk beschenkt werden – für Sprösslinge ein dreifaches Vergnügen. Einige Minuten später ist von der farbenprächtigen Zauberburg nur noch ein Quartett aus prall gefüllten Müllsäcken übrig.
Sabina Kellner gönnt sich in dem Frühstückscafé eine Verschnaufpause und erzählt von ihrer Arbeit. Es klingt, als berichtete ein Teenager von der ersten durchtanzten Party samt Abschiedskuss im Morgengrauen. Da ist ausschließlich Begeisterung, Leidenschaft und Freude. Es ist ein einziges Schwelgen, durchsetzt von einer Spur Fassungslosigkeit, dass gerade ihr das Eintauchen in eine so faszinierende Welt, die zu 99 Prozent aus Luft besteht, vergönnt war.
Begonnen hat alles vor mehr als 20 Jahren. Rein zufällig, natürlich. Sabina Kellner studierte Raumplanung und verdiente nebenbei Geld mit Jonglieren und Kinderschminken. Für ihren eigentlichen Traumberuf, Industriedesign, habe ihr der Mut gefehlt. „Mein Bruder hat mir irgendwann einen Luftballon in die Hand gedrückt.“Ein
Von der Convention-Besucherin zur begehrten Gastvortragenden
bisschen drehen, ein wenig drücken, quetschen, pressen, ziehen, biegen. Und schon war’s passiert – sie war hoffnungslos infiziert. Kellner fuhr nach Deutschland auf ein Ballonfestival und war tief beeindruckt. Doch bald zeigten sich die Veranstalter beeindruckt vom Können ihres Neulings aus Purkersdorf bei Wien. „Im dritten Jahr hat man mich schon gebeten zu unterrichten.“2004 errang sie mit einer selbst entwickelten Technik („Loop Weaving“, übersetzt: Luftweben) den Europameistertitel. Obwohl sie von Wettbewerben und Ranglisten im Grunde nicht viel hält. „Man kann ja auch nicht sagen, wer der beste Maler ist.“Heute ist Sabine Kellner auf Conventions ein gefragter Gast. Workshops und Ausstellungen haben sie nach Brasilien, Singapur, Russland, Belgien, Polen, China und Frankreich geführt.
2013 krempelte Sabina Kellner ihr Leben noch einmal um. Sie schmiss ihren Job als Raumplanerin hin, überwand ein Burn-out und machte sich als Ballonkünstlerin selbstständig. Fortan trat sie auch zum Broterwerb auf – bei Firmenjubiläen, in Seniorenheimen und bei Modenschauen ebenso wie auf Kindergeburtstagen. Reich, meint die 51Jährige, sei sie bisher nicht geworden und lacht, weil das ja überhaupt nicht ihr Ziel sei: „Ich hab gelernt, mit wenig Geld auszukommen.“
Was man braucht, um aus Luftballonen Luftschlösser zu bauen? „Auf jeden Fall sollte man raumplanerisch denken können“, sagt Kellner. Außerdem dürfe man mit Proportionen und Farbkompositionen nicht auf Kriegsfuß stehen. Hinzu komme logistisches Talent und die Fähigkeit, sich zu vernetzen. Denn für die HalloweenZauberburg im Einkaufszentrum benötigte sie nicht nur ein perfekt vorbereitetes Sortiment an Luftballons, sondern auch Unterstützung. Insgesamt sechs Kollegen packten mit an, dennoch habe es drei Tage gedauert, bis das Kunstwerk vollendet war. Doch das ist nichts im Vergleich zur „Asia Balloonconvention“in Chengdu (China), wo sie mit 40 der besten Ballonkünstler auf 10.000 Quadratmetern 470.000 Luftballone „verarbeitete“, was – ganz nebenbei – Weltrekord bedeutete. Kellner kreierte Belugawale, Walrösser, Pandabären und Kobras, die sie allesamt überragten. Sogar ein Ameisenbär mit langer roter Zunge entstand, inklusive Ameise. Es sei ihr „buntes Paralleluniversum“, wo sie „sein darf, wie ich bin“. Und das mit großem Erfolg. „Ich habe so viele Ideen im Kopf“, sagt Sabina Kellner, die ihr Leben als riesengroßes Abenteuer bezeichnet. Deshalb fällt ihr auch das eigenhändige Zerplatzen ihrer Luftschlösser so leicht. „Denn das Schlimmste wäre, wenn jemand sagen würde: Bitte, bau mir genau das noch einmal.“