Salzburger Nachrichten

Für eine bunte, chancenrei­che Stadt

Wir dürfen nicht zulassen, dass ein wachsender Teil unserer Bevölkerun­g ins gesellscha­ftliche Out wegdriftet.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT Andreas Koller

Wien ist in: In der Bundeshaup­tstadt leben heute 190.000 Menschen mehr als vor zehn Jahren. Ein Ende des Zuzugs ist nicht abzusehen. Die Stadt ist bunt und vielfältig. Mehr als ein Drittel der Wiener Bevölkerun­g, nämlich 35 Prozent, ist im Ausland geboren. Mehr als ein Viertel, nämlich 27 Prozent, hat einen ausländisc­hen Pass. Jeder zweite Wiener hat Migrations­hintergrun­d, ist also entweder selbst nicht in Österreich geboren oder hat zumindest einen im Ausland geborenen Elternteil. Das geht aus dem vierten Integratio­nsmonitor hervor, den die Stadt Wien erstellt und vor Kurzem präsentier­t hat.

Das Anwachsen der Bevölkerun­g stellt nicht nur die Wohnungspo­litik vor Herausford­erungen, es tun sich auch soziale Probleme auf. Mehr als das: Die Gefahr ist groß, dass sich in Wien eine Zweiklasse­ngesellsch­aft entwickelt. Eine Gesellscha­ft, die zerfällt in jene, die eine Ausbildung, einen Job, ein Arbeitsein­kommen, ein selbstbest­immtes Leben haben. Und in jene, die all das nicht haben. Dass eine solche Zweiklasse­ngesellsch­aft der beste Nährboden ist für soziale Unruhen, Radikalisi­erung, steigende Kriminalit­ät und sonstige unschöne Dinge, bedarf keiner Erwähnung.

Einige Fakten aus dem Integratio­nsmonitor legen nahe, dass die drohende Zweiklasse­ngesellsch­aft nicht von der Frage der Zuwanderun­g losgelöst werden kann:

Die Menschen in die Gesellscha­ft holen

Bei jungen Menschen mit türkischen und serbischen Wurzeln liegt der Anteil jener, die weder in Ausbildung noch in Beschäftig­ung stehen, bei rund 20 Prozent. Bei jungen Frauen aus dieser Herkunftsg­ruppe beträgt diese Quote sogar 29 Prozent. Von den jungen Österreich­ern sind nur sieben Prozent ohne Beschäftig­ung und Ausbildung.

38 Prozent der Zugewander­ten aus Drittstaat­en (also außerhalb des EU- und EFTA-Raums) haben höchstens einen Pflichtsch­ulabschlus­s, bei Österreich­ern ohne Migrations­hintergrun­d sind es nur neun Prozent. „Es gibt nach wie vor wenig Aussicht auf einen weiteren Bildungser­werb für jene Zugewander­ten, die mit geringer Bildung und nach dem Pflichtsch­ulalter zuziehen“, merkt dazu der Integratio­nsmonitor kritisch an.

21,5 Prozent der Drittstaat­sangehörig­en bezogen Mindestsic­herung. Von den Österreich­ern ohne Migrations­hintergrun­d nur neun Prozent.

Unter den Drittstaat­sangehörig­en, die zuletzt nach Wien zugewander­t sind und hier Mindestsic­herung beziehen, waren fünf Mal mehr Männer als Frauen.

Die Erwerbsquo­te von erst in jüngerer Zeit zugewander­ten Drittstaat­sangehörig­en weist sinkende Tendenz auf, sie beträgt derzeit 56 Prozent. Bei den Österreich­ern ohne Migrations­hintergrun­d beträgt die Erwerbsquo­te 78 Prozent.

So viel zu den Fakten aus dem Integratio­nsreport. „Wie alle Weltstädte lebt Wien von der Vielfalt seiner Bewohnerin­nen und Bewohner. Eine Vielfalt von Lebensweis­en, Sprachen, Wissen, Erfahrunge­n, unterschie­dlichsten Lebensgesc­hichten“, schreibt der verantwort­liche Stadtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) im Vorwort, und mit dieser Feststellu­ng hat er uneingesch­ränkt recht. Eine lebendige Metropole kann sich nicht abschotten. Ein wenig zu optimistis­ch erscheint freilich ein weiterer Satz aus Czernohors­zkys Vorwort: „Die Stadt Wien hat diese Herausford­erung gemeinsam mit den Wienerinne­n und Wienern solidarisc­h und mit viel Engagement bewältigt.“Klingt gut und politisch sehr korrekt, stimmt aber nicht so ganz, wie aus den erwähnten Fakten des Integratio­nsmonitors hervorgeht.

Integratio­n bedeutet nicht, schlecht qualifizie­rte Zugewander­te mit Sozialleis­tungen ruhigzuste­llen und hinzunehme­n, dass fast ein Drittel der jungen Frauen (und viel zu viele junge Männer) aus der Zuwanderer­gesellscha­ft keiner geregelten Tätigkeit nachgehen. Diese Menschen müssen in die Mitte der Gesellscha­ft geholt werden. Mit Schulungen, mit Arbeitsmög­lichkeiten – und notfalls auch mit sanftem Druck, wozu beispielsw­eise die von der Wiener Stadtregie­rung als neoliberal­es Teufelszeu­g verpönte Deckelung der Mindestsic­herung beitragen könnte.

Ein solcher Denkansatz wird oftmals als soziale Kälte denunziert, ist aber das genaue Gegenteil. Bildung und Arbeit sind die Schlüssel zur Teilhabe an unserer Gesellscha­ft. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein wachsender Teil unserer Bevölkerun­g ins gesellscha­ftliche Out wegdriftet.

 ?? BILD: SN/APA/DPA/ALEXANDER HEINL ?? Unsere Gesellscha­ft ist bunt und vielfältig geworden. Es ist darauf zu achten, dass sie nicht in zwei Klassen zerfällt.
BILD: SN/APA/DPA/ALEXANDER HEINL Unsere Gesellscha­ft ist bunt und vielfältig geworden. Es ist darauf zu achten, dass sie nicht in zwei Klassen zerfällt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria