„Besser, nicht zu regieren“
Einen Monat haben die Parteien in Deutschland sondiert, ob Koalitionsgespräche über ein Jamaika-Bündnis überhaupt Sinn machen. Nun bricht die FDP die Verhandlungen ab.
BERLIN. Es ist höchst ungewöhnlich in Deutschland, dass sich der Bundespräsident in die aktuelle Tagespolitik einmischt. Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat das am Wochenende allerdings getan. In Berlin hat er CDU, CSU, FDP und Grüne davor gewarnt, Neuwahlen zu provozieren. Er erwarte, „dass sich alle Seiten ihrer Verantwortung bewusst sind“. Das heiße, „den Auftrag nicht an die Wähler zurückzugeben“. Damit machte Steinmeier klar, dass er sich Neuwahlen so lange wie möglich widersetzen würde. Indirekt galt der Appell aber wohl auch der SPD, die ihre staatspolitische Aufgabe derzeit nur in der Oppositionsrolle sieht. Das hat Parteichef Martin Schulz am Sonntag erneut bekräftigt: Die SPD stehe im Fall des Scheiterns der Jamaika-Gespräche nicht zur Verfügung als Partner der Union.
Die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition hätten eigentlich schon am Donnerstag beendet sein sollen. Doch auch eine Marathonsitzung bis Freitagmorgen konnte keine Einigung bringen. Vor allem in der FDP machte sich Resignation breit. Parteichef Christian Lindner verkündete vor der Runde am Sonntagnachmittag, dass um 18 Uhr Schluss sei. Eine erneute nächtliche Runde werde es nicht geben. „Nachtsitzungen bringen nichts“, meinte Lindner.
Dann war aber doch noch nicht Schluss um 18 Uhr. Grüne und CSU hatten sich schon zuvor gegen eine solche Deadline ausgesprochen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erklärte: „Wir verhandeln so lange, wie es nötig ist. So ein schwieriges Paket wird man nach so vielen Wochen jetzt bestimmt nicht nach der Stechuhr machen können.“CSU-Chef Horst Seehofer versicherte schon zu Mittag: „Ich glaube, wir brauchen ein Stückchen mehr Zeit als bis 18 Uhr.“
Nachgedacht wurde sogar über eine zweiwöchige Denkpause, in der alle Parteien über ihre Kompromissfähigkeit und ihre Schmerzgrenzen sinnieren könnten.
Wie erwartet erwiesen sich die Punkte Flüchtlinge und Klimapolitik als die härtesten Nüsse in den Verhandlungen. Umstritten war der Familiennachzug für nur subsidiär geschützte Flüchtlinge. Hier hatten – wieder einmal – die Grünen am Sonntag einen Kompromiss vorgeschlagen. Statt der starren CSUObergrenze von 200.000 wollten sie einen „atmenden Rahmen“einführen, wobei unklar ist, was genau mit diesem schwammigen Begriff gemeint ist. Die Grünen verwiesen darauf, die Zahl 200.000 sei seit der Wiedervereinigung überhaupt nur in fünf Jahren überschritten worden. Allerdings machte die Partei auch deutlich, dass ihr Angebot nur gelte, wenn sich auch die CSU bewege. Gleichzeitig reklamierten die Grünen den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge als nicht verhandelbar. Ein Verbot sei unmenschlich.
Für mangelnde Fortschritte in den Koalitionsgesprächen machten sich die Parteien am Sonntag einmal mehr gegenseitig verantwortlich. Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin warf der FDP vor, sie habe den Schulterschluss mit der CSU gesucht und bestehe jetzt ebenfalls darauf, den Familiennachzug über den März 2018 auszusetzen. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte: „Wir verhandeln nicht öffentlich.“
Kurz vor Mitternacht kam Sonntag schließlich das vorläufige Aus für „Jamaika“. FDP-Chef Christian Lindner hat den Abbruch der Sondierungen nach gut vier Wochen mit fehlendem Vertrauen begründet. Es sei den vier Gesprächspartnern nicht gelungen, eine Vertrauensbasis oder eine gemeinsame Idee für die Modernisierung des Landes zu finden, sagte Lindner am späten Sonntagabend in Berlin. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte er.