Zwergenaufstand an der Burg
Jette Steckel inszenierte Henrik Ibsens gesellschaftskritisches Stück „Ein Volksfeind“als Weltuntergangsdrama, eingefärbt von der aktuellen Realpolitik der Lüge.
Gletscher schmelzen, Tsunamis treten vermehrt auf, der Meeresspiegel steigt. Doch solange die Renditen stimmen, bleibt der Klimawandel Angelegenheit der Wissenschaft. Wen interessiert schon der ganze Ökohalligalli? Die Politik hat genug damit zu tun, hochdotierte Ämter zu besetzen. FrankPatrick Steckel hat Henrik Ibsens „Der Volksfeind“für das Burgtheater bearbeitet, seine Tochter Jette Steckel inszenierte.
Sie zeigt die aktuelle Realpolitik als spiegelglattes Parkett der Lüge, als Disneyland aufgeblasener Gartenzwerge. Starr und unbeweglich reagieren diese riesengroßen Zwerge – die Bürger des Kurorts – auf das Gutachten des Badearztes Tomas Stockmann, das Gift im Quellwasser nachweist. Vergeblich versucht Stockmann die Bevölkerung zu mobilisieren. Er schwingt flammende Reden, ruft zu Demonstrationen auf, doch die von acht Komparsen bewegten Zwerge (Bühne Florian Lösche) drehen ihm den Rücken zu. Nur nicht die Komfortzone verlassen, das ist die Haltung dieser Spießer und zugleich die Kritik Steckels.
Dabei sieht die Angelegenheit (die Sanierung des Kurbads) auf den ersten Blick vielversprechend aus, ist doch Stockmanns jüngerer Bruder Peter Bürgermeister der Stadt. Und das will er auch bleiben, koste es, was es wolle.
Auf dem hauchdünnen Eis der Politik bewegt sich dieser Peter Stockmann wie kein anderer. Mirco Kreibich tanzt mit Schlittschuhen über das glatte Parkett der BurgBühne, er dreht sich kunstvoll, wendet sich geschickt, kleine Ausrutscher werden elegant vertuscht. Zur Klavierbegleitung von Friederike Bernhardt – die mit exzentrisch hochgestecktem Haar als Kunstfigur zu sehen ist und deren elektroakustische Musik einen seltsamen Klangraum etabliert – präsentiert er sich als geschmeidiger Eisläufer, der sich im richtigen Moment perfekt in Pose zu werfen versteht.
Unterschiedlicher könnten die beiden Brüder kaum sein: Während der geschniegelte Bürgermeister wie aus dem Ei gepellt tänzelt, stapft Joachim Meyerhoff als überzeugter Arzt Tomas in Gesundheitsschuhen über das blanke Eis, taucht aus Abhärtungsgründen sogar darunter. Ein wild gewachsener Bart, ein (bestimmt ökologisch hergestellter) orangefarbener Parka präsentieren das Klischee des Umweltschützers. Beim heiter-fröhlichen Abendessen sitzt die Familie auf Holzschemeln und trinkt Bio-Wein. Dorothee Hartinger ist Tomas’ Frau Kathrin, die im übergroßen NorwegerPullover und mit ungebändigten Locken die ideale Partnerin gibt. In Steckels Bearbeitung ist sie Kinderärztin, von ihrem Vater, dem Lederfabrikanten Morten Kiil, geht die Verschmutzung des Wassers aus. Ignaz Kirchner spielt ihn, weiß geschminkt als lächerliche Figur. Die Redakteure des „Volksboten“sind auf knallrote Backen geschminkt. Treibt ihnen das ständige Lügen die Schamesröte ins Gesicht?
Jette Steckel zieht sie ins Groteske, am Ende konterkariert sie die Klischees mit Fernsehbildern von Naturkatastrophen. Der Weltuntergang droht, und das Theater ist als offener Diskursraum in Gefahr. Meyerhoff springt in den Bühnenraum und erinnert an H. C. Straches Störaktion während der Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“(1988). Jette Steckel nimmt Karl Kraus’ Diktum „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten“wörtlich. Eine szenische Antwort findet sie jedoch nicht. Sie flüchtet in schräge Bilder und findet zu keinem Ende. Nach drei Stunden dankte das Premierenpublikum am Samstag mit freundlichem Beifall.
Die Komfortzone ist voller Spießer