Widerstand gegen Pläne der neuen Koalition wächst
Viele Vorhaben der zukünftigen Koalition stoßen auf wenig Begeisterung.
Je deutlicher die Pläne der künftigen ÖVP-FPÖ-Regierung werden, desto lauter wird der Widerstand. Dieser kommt nicht nur von der politischen Konkurrenz im Parlament, also von SPÖ, Neos und der Liste Pilz. Auch Nichtregierungsorganisationen, Länder und Interessenvertretungen melden Bedenken an. Vom Roten Kreuz über die Caritas bis zu SOS Mitmensch gibt es Kritik, weil die Mindestsicherung für Flüchtlinge gekürzt werden soll. Die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern missfällt den dort tätigen Funktionären, die mögliche Zusammenlegung der Sozialversicherungen alarmiert die Länder.
Die Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wehrt sich dagegen, dass sie, wie man hört, aufgelöst und ihre Agenden den Krankenkassen übertragen werden sollen. AUVA-Obmann Anton Ofner verweist darauf, dass seine Versicherung aufgrund ihrer 130-jährigen Geschichte spezielles Know-how und enormes Spezialistentum aufweise, was Unfallchirurgie, Rehabilitation und Unfallprävention betreffe. Noch haben ÖVP und FPÖ die Zukunft der AUVA nicht endgültig entschieden.
Bei den Regierungsverhandlungen, die bis in die Nachtstunden dauerten, standen die Themen Integration und Arbeit auf dem Programm.
WIEN. Nach und nach werden die Inhalte der Regierungsverhandlungen publik. Von der neuen Bildungspolitik, die die Noten in die Volksschule zurückbringt, bis zur Reform des Sozialversicherungssystems, die eine Fusion der Krankenkassen zum Inhalt haben könnte: Je mehr Inhalte bekannt werden, umso stärker regt sich auch der Widerspruch gegen die Vorhaben von ÖVP und FPÖ.
Vor allem die Organisationen der sogenannten Zivilgesellschaft sind es, die immer lauter ihre Bedenken artikulieren. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch schickte am Mittwoch ein Dossier über Spitzenpolitiker der Freiheitlichen an Bundespräsident Alexander Van der Bellen und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. Das Papier enthält neben FPÖ-Obmann Strache auch die Vizeparteiobleute Hofer, Haimbuchner, Gudenus und Stefan, die Parteisekretäre Kickl und Vilimsky sowie eine Reihe weiterer FPÖ-Führungskräfte aus dem Nationalrat, dem EU-Parlament und den Bundesländern. Aufgelistet werden die Verbreitung von Antisemitismus und Rassismus, die Huldigung von Nazihelden, die Verwendung von Nazisymbolen, die Mitgliedschaft in deutschnationalen, schlagenden Burschen- und Mädelschaften. Bereits Mitte No- vember hat SOS Mitmensch eine Lichterkette im Regierungsviertel unter dem Motto „Unsere Ministerien nicht in die Hände von Rechtsextremen“veranstaltet.
Auch der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer, hat sich zu Wort gemeldet und sich dabei skeptisch zu der geplanten Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge geäußert. Er ist damit einer Meinung mit anderen Organisationen, die im Sozialbereich tätig sind. Angefangen von der Volkshilfe über die Caritas bis zur Diakonie.
Bei den angekündigten Änderungen im Gesundheitsbereich reicht die Kritik bis weit in die ÖVP. So haben sich die Gesundheitsreferenten der Bundesländer gegen eine Zentralisierung der Gebietskrankenkassen ausgesprochen. Man brauche starke Partner vor Ort, geht ihr Argument. Auch Vorarlbergs LH Markus Wallner (ÖVP) hat sich dagegen ausgesprochen, dass die Gelder der Versicherten aus Vorarlberg nach Wien transferiert werden. Die Zusammenlegung der Versicherungen wird auch von vielen christlichen Gewerkschaftern abgelehnt. So warnen die Wiener Christgewerkschafter vor einer „Zerschlagung der Sozialpartnerschaft“, die nur heimischen Großbetrieben und internationalen Konzern-Multis helfe. Außerdem würden durch das Zurückdrängen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung nicht mehr die Versicherten über ihre Versicherung entscheiden, sondern „die vom Staat entsandten Parteifunktionäre und die Wirtschaftsbosse“, meinte FCGVorsitzender Thomas Rasch.
Kritische Stimmen kommen auch aus der Wirtschaft. WK-Präsident Christoph Leitl warnt vor einer Zerstörung des Kammersystems bei den Regierungsverhandlungen. „Reformieren ja, ruinieren nein“, sagte er. Konkret geht es um die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern, die die FPÖ infrage stellt. So wie Leitl denken auch die Verantwortlichen in Arbeiter- und Landwirtschaftskammer.
Die Pläne von ÖVP und FPÖ zur Bildung stoßen ebenfalls auf Widerspruch. Die Lehrergewerkschafter geben sich noch abwartend, während beim Dachverband der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen die Alarmglocken schrillen. „Die Mitgestaltungsrechte der Eltern dürfen nicht eingeschränkt werden“, sagt Vorsitzen- der Karl Dwulit. Das „offenbar geplante Abschaffen der alternativen Beurteilung“in den ersten drei Klassen Volksschule sei ein „Eingriff in die Wahlfreiheit der Eltern“.
Die grünen Umweltlandesräte appellieren, den Klimaschutz ernst zu nehmen und rasch zu handeln. In einem Papier fordern sie ein Bündel an Sofortmaßnahmen, das unter anderem die Schaffung eines eigenen Umweltschutzministeriums mit umfassenden Kompetenzen vorsieht. „Den Klimaschutz weiter aufzuschieben würde schwere wirtschaftliche und soziale Probleme schaffen“, warnen die Landesräte Rolf Holub (Kärnten), Rudi Anschober (Oberösterreich), Astrid Rössler (Salzburg), Ingrid Felipe (Tirol), Johannes Rauch (Vorarlberg) und die – allerdings nur für Planung und Verkehr zuständige – Wiener Stadträtin Maria Vassilakou. Nach Ansicht der Grünen sind drastische Reduktionen der TreibhausgasEmissionen notwendig, um die durchschnittliche globale Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken und damit weitreichende irreversible Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern. Neben einem Umweltschutzministerium verlangen die Landesräte die Erstellung einer Klima- und Energiestrategie auf Basis der Pariser Klimaziele, eine ökosoziale Steuerreform, ein Ökostromgesetz als Basis für 100 Prozent erneuerbaren Strom und die Verkehrswende.