Autorität der Kanzlerin ist angekratzt
Was ist bloß in Deutschland los? Die Berechenbarkeit der politischen Akteure in Berlin darf man derzeit bezweifeln. Angela Merkel ist ohne Führungsstärke.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Parteichefs von CDU, CSU und SPD für heute, Donnerstag, zum Gespräch eingeladen. Mit Kompromisssignalen hätten die geschrumpften Großparteien vernünftigerweise in dieses erste Abtasten über eine neue Koalition oder Kooperation gehen müssen.
Ausgerechnet in diesem Augenblick aber gibt der Landwirtschaftsminister von der CSU bei einem wichtigen EUEntscheid in Brüssel sein Votum gegen den Willen der Umweltministerin von der SPD ab – statt sich der Stimme zu enthalten, wie es bei einem Dissens im Kabinett die Regel ist. Der Minister handelt gegen die Warnung aus dem Kanzleramt, aber offenbar im Einvernehmen mit CSU-Chef Horst Seehofer. Ein riesiger Krach im Kabinett ist die Folge.
Das Glyphosat-Gezerre hat somit giftige Nebenwirkungen auf die geschäftsführende Bundesregierung. Die Unionsparteien CDU und CSU, die sich in der Flüchtlingsfrage endlich zusammengerauft haben, bieten wieder ein Bild der Zerrissenheit. Das kann unmöglich ihr Ansehen beim Wähler aufpolieren.
Die Autorität von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat stark gelitten. Ihre geschwächte Position zeigte sich schon, als sie bei der Regierungsbildung mit FDP und Grünen („Jamaika“) scheiterte. Jetzt fehlt ihr zusehends die Kraft, die Noch-Koalitionäre zusammenzuhalten. Auch bei Extratouren des SPD-Außenministers blieb ihr Machtwort aus. Die Gespräche der Union mit der SPD sind so von vornherein belastet. Schwierig genug ist es für die Sozialdemokraten, von ihrem strikten Nein zu einer Großen Koalition abzurücken. Jetzt toben sie über den Vertrauensbruch in der Regierung und werden für den Eklat politische Kompensationen fordern.
Dieses Jahr endet für die EU also mit einer bösen Überraschung. Glimpflich ging die Wahl in den Niederlanden aus, die den Aufstieg der Rechtspopulisten bremste. Geradezu glücklich erschien das Wahlergebnis in Frankreich, wo die Reformhoffnung Emmanuel Macron den Ansturm der extremen Rechten abwehrte. Doch Deutschland, wo stabile Verhältnisse erwartet wurden, wird jetzt zum Unsicherheitsfaktor in Europa.