„Es gibt nur eine Wirklichkeit im Iran“
Sex, Lügen und Rotoskopie: „Teheran Tabu“berichtet von jenem Alltag, den andere Filme nicht zeigen können.
Ein Animationsfilm erzählt von Männern und Frauen in Teheran: In „Teheran Tabu“– ab Freitag im Kino – wird geliebt und gestritten, die Menschen haben Sex, verkaufen ihn, sind zärtlich und gewaltbereit. „Alle tun es, niemand spricht öffentlich davon“, sagt Regisseur Ali Soozandeh, der seit 18 Jahren in Deutschland lebt. Er hat den Film im Studio gedreht – mit dem österreichischen Kameramann Martin Gschlacht, dessen Bilder rotoskopisch verfremdet sind. So kann Soozandeh auch jene Seiten von Teheran zeigen, die seine berühmten Landsleute Farhadi, Panahi und Kiarostami weglassen müssen. SN: Was war der Anlass für diesen Film? Ali Soozandeh: Ich bin im Iran geboren und aufgewachsen und wenn ich zurückdenke, habe ich große Fragezeichen im Kopf bezüglich der sexuellen Einstellung der Gesellschaft. Warum ist das so ein Tabu? Alle wissen das, alle tun es, aber keiner spricht öffentlich davon. Darauf wollte ich eine Antwort finden. Eines Tages hab ich in Deutschland im Zug ein Gespräch zweier junger Iraner mitgehört, die über ihre Erfahrungen mit Frauen in Teheran gesprochen haben. Da kam auch eine Prostituierte vor, die ein Baby hatte und es immer mitnahm auf den Strich, weil sie niemanden zum Aufpassen hatte. Das hat mich dazu gebracht, diese Geschichten aufzuschreiben, die ich schon jahrelang mit mir herumgetragen hatte. SN: Sie nennen diese Geschichte als Anstoß für den Film, weil die Sexarbeiterin in Ihrem Film zu einer selbstbewusste Figur wird. Warum? Die drei Geschichten im Film hatte ich eigentlich separat aufgeschrieben und erst nachträglich verknüpft. Pari, wie die Prostituierte im Film heißt, ist die Verbindung zwischen alldem.
Gibt es absolute Gute oder Böse? Je nach Perspektive ändert sich das, da ist jemand gleichzeitig Opfer und Täter, und ich glaube, das gilt für alle Figuren in meinem Film, nicht nur für Pari. Wenn man die Umstände und die Hintergründe versteht, versteht man auch die anderen Charaktere. SN: Im Iran gibt es einerseits die Religionspolizei, die jedes Fehlverhalten sanktioniert, und andererseits existiert Prostitution. Wie geht das? Teheran ist eine Metropole mit 14 Millionen Einwohnern und voller Gegensätze. Stadtteile im Norden etwa sind sogar moderner als manche Städte in Europa. Im Süden von Teheran sind Gegenden, die sind religiös und konservativ. Dazwischen gibt es hundert andere Schattierungen. Es gibt Tausende von Wahrheiten und Realitäten in Teheran. SN: Diese Dualität zwischen dem offiziell Erlaubten und dem, was inoffiziell passiert, ist faszinierend. An offiziellen Orten gibt es natürlich viele Verbote, aber die Iraner sind kreativ. Die finden immer irgendwelche Räume, wo Gesetze nicht gelten. Da geht es dann richtig zur Sache. Denn wo es keine Gesetze gibt, gibt es keine Kontrolle – ob das Sex, Drogen oder Alkohol betrifft, bis zum Exzess. Das ist ja eines der Probleme, die mit jedem Verbot einhergehen, das kann auch gefährlich werden. Wo es Einschränkungen gibt, gibt es auch Menschen, die sich Gedanken machen, wie man diese Verbote umgeht. SN: Im offiziellen Leben sind Frauen und Männer im Iran ja nicht gleichberechtigt. Wie ist das im Alltag? Schon per Gesetz sind Frauen eingeschränkt, zum Beispiel dürfen sie manche Berufe gar nicht ausüben, etwa den Richterberuf. Die Aussage eines Mannes ist vor einem iranischen Gericht gleichwertig mit der von zwei Frauen. Wenn eine Frau getötet wird, kostet das Blutgeld nur halb so viel wie für einen Mann.
Aber in der Gesellschaft sind die Einschränkungen abhängig vom Ort, an dem man sich befindet. Es gibt viele Frauen, die in Politik aktiv sind, in Sport und Bildung. Es gibt aber auch Stadtteile, wo konservative und religiöse Menschen leben. Da sind die Frauen abhängig von Ehemännern oder Vätern, von der ganzen Familie. Es hat sich in letzter Zeit aber in der Mitte der Gesellschaft etwas zum Positiven geändert. Trotzdem gibt es noch viele Gegenden, wo Frauen ihr Schicksal nicht in die Hand nehmen können. Kino:
„Es gibt immer Räume, wo Gesetze nicht gelten.“