Die letzten Hürden: Kassen, Kammern, direkte Demokratie
Die Koalitionsverhandlungen von ÖVP und FPÖ gehen in die Endphase. Bei den strittigen Punkten zeichnen sich Kompromisse ab.
Die Koalitionsverhandlungen von ÖVP und FPÖ gehen zügig voran. Noch in dieser Woche will die „Steuerungsgruppe“, der die Parteichefs und ihre engsten Vertrauten angehören, sämtliche Arbeitspapiere der Fach-Verhandlungsgruppen bewerten. Danach sollen die letzten „Dissenspunkte“geklärt werden. Was die unterschiedlichen Vorstellungen beim Ausbau der direkten Demokratie betrifft, zeichnet sich eine Einigung ab. Die FPÖ hat bereits angedeutet, mit der von der ÖVP angestrebten „behutsamen Vorgangsweise“leben zu können. Verbindliche Volksabstimmungen dürften also erst dann kommen, wenn ein Volksbegehren von zehn Prozent der Bürger unterstützt wird. Die FPÖ hatte eine Vier-Prozent-Hürde angestrebt. Auch bei der von der FPÖ geforderten Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft zeichnet sich ein Kompromiss – und zwar in Form von Mitgliederbefragungen – ab. Die von beiden Parteien erwogene Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen könnte auch an ÖVP-internen Widerständen scheitern. „Reiche“ Kassen (und die hinter ihnen stehenden Landeshauptleute, die meist der ÖVP angehören) zeigen wenig Neigung, in einem Verbund mit finanzschwächeren Kassen aufzugehen.
Am Donnerstag präsentierten ÖVP und FPÖ ihren Plan, große Infrastrukturprojekte künftig zügiger abzuwickeln.
Innenminister Wolfgang Sobotka ist auf Tour. Gestern, Donnerstag, war er zunächst in Salzburg zum Vieraugengespräch mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP). Dann reiste er ostwärts, und gegen Abend trafen einige der ÖVP-Landeshauptleute in Wien zu einer Unterredung mit Sobotka ein. Die Betriebsamkeit des Innenministers hat einen Grund. Der Niederösterreicher, der jahrelang selbst der Landesregierung angehört hatte, ist von Sebastian Kurz beauftragt worden, als Verbindungsmann zwischen den Koalitionsverhandlern und den ÖVPLandeshauptleuten zu fungieren. Die Landeshauptleute sollen über den Stand der Verhandlungen informiert beziehungsweise in die Gespräche eingebunden werden.
Zahlreiche Themen, die zwischen ÖVP und FPÖ in Wien besprochen werden, betreffen die Bundesländer und ihre Kompetenzen massiv, wie Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer den SN erläutert. Etwa die Entwirrung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. „Die muss jetzt kommen, sie kann nicht wieder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden“, sagt der Landeshauptmann. Die Länder seien diesbezüglich zu „einigem“bereit. Aber: „Das muss ein Geben und Nehmen sein“, es dürften also nicht einseitig nur Kompetenzen von den Ländern in Richtung Wien abwandern.
Heikel sind auch die Verhandlungen um die Gebietskrankenkassen. Die Koalitionsverhandler in Wien haben, wie berichtet, eine Zusammenlegung dieser neun Kassen angedacht. Das stößt in einigen Ländern auf wenig Gegenliebe. Denn einige Kassen – etwa die oberösterreichische – sind finanzstärker als andere, da die Arbeitnehmer in diesem Industrieland überdurchschnittlich gut verdienen und zusammen mit ihren Dienstgebern daher auch mehr in die Kassen einzahlen. „Reiche“Kassen können ihren Versicherten daher auch mehr bieten. Oberösterreich zeigt wenig Neigung, die Einhebung der Kassenbeiträge in Wien zu zentralisieren und nur einen Teil der Gelder nach einer starren Kopfzahl zurückzuerhalten.
Bereits vor einigen Tagen haben sich die Gesundheitslandesräte der Bundesländer in einer gemeinsamen Erklärung klar gegen eine Zentralisierung der Gebietskrankenkassen ausgesprochen. Man brauche starke Systempartner vor Ort, betonten die von ÖVP und SPÖ gestellten Landesräte.
Gesprächsbedarf mit den Ländern gibt es weiters für den Plan, eine bundesweite Regelung für die Mindestsicherung einzuführen. Diese ist derzeit in jedem Bundesland anders geregelt, einige haben diese Sozialleistung gedeckelt, andere nicht.
Die frühzeitige Einbindung der Länder ist den Erfahrungen aus den Koalitionsverhandlungen früherer Jahre geschuldet. 2013 sprach sich der steirische ÖVP-Chef und nunmehrige LH Hermann Schützenhöfer scharf gegen den von Werner Faymann und Michael Spindelegger ausgehandelten Koalitionspakt aus. Faymann musste die Schmach hinnehmen, dass die SPÖ-Landesorganisationen von Vorarlberg und Tirol den Koalitionspakt glatt ablehnten. Der Unmut mächtiger Landesfürsten war einer der Gründe dafür, dass Spindelegger und Faymann zum Ende der Legislaturperiode längst nicht mehr im Amt waren. Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache wollen dieses Schicksal vermeiden.