Der Sack müllt die Meere weiter zu
Mindestens acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Ozeanen. Europa und Afrika haben etliche Maßnahmen dagegen ergriffen.
Bis zu vier Jahre Haft oder maximal 32.500 Euro Strafe. Das droht jemandem, der in Kenia ein Plastiksackerl nutzt. Das ostafrikanische Land hat jüngst eine der strengsten Verbote von Plastiktaschen weltweit eingeführt. Mit der drastischen Maßnahme schließt sich Kenia rund 40 anderen Ländern an, die mit Beschränkungen oder Verboten der Sackerl gegen eines der größten Umweltprobleme weltweit vorgehen wollen: Plastikmüll. Doch lässt sich die Bedrohung so effektiv bekämpfen?
„Die Plastikverschmutzung in den Ozeanen ist jenseits von Gut und Böse“, sagt Sam Barratt, der Leiter öffentlicher Kampagnen beim UNO-Umweltprogramm (UNEP). Mindestens acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen der UNO zufolge jährlich in den Ozeanen. Meerestiere verheddern sich oder verschlucken den Müll. Auch zerfällt das Material und bildet Mikroplastik, Kunststoffteilchen, die sich später auch in Trinkwasser und Nahrungsmitteln wiederfinden. Bis 2050 werde sich der Plastikmüll in den Meeren verzehnfachen, warnt Barratt. Die Bedrohung wird auch beim UNO-Umweltgipfel in Nairobi von heute, Montag, bis 6. Dezember großes Thema sein.
„Einwegplastik ist einfach so bequem, dass die Welt vergessen hat, die Folgen des Kunststoffs miteinzupreisen“, sagt Barratt.
Die Plastiktasche ist dabei einer der größten Übeltäter. Bis vor Kurzem war sie in Kenia fester Bestandteil des Lebens, vom Einkauf im Supermarkt oder im Straßenverkauf bis zur praktischen Tragetasche und sogar als Toilette in den Slums. Etwa 100 Millionen Sackerl wurden der kenianischen Umweltbehörde Nema zufolge jährlich ausgeteilt. Die Tasche landete in Bäumen und auf Straßen, in Abflüssen und an Stränden.
Etliche Staaten haben inzwischen Maßnahmen gegen Plastikmüll ergriffen. Einige Industrieländer haben eine Steuer für die Tasche eingeführt. In Großbritannien kostet sie Barratt zufolge nun fünf Pence (etwa sechs Eurocent), was die Nutzung um etwa 80 Prozent verringert hat. Doch in Entwicklungsländern mit einer großen informellen Wirtschaft würde demnach eine Steuer nicht funktionieren. „Ein Verbot ist eine harte, aber sehr effektive Maßnahme.“
Das hat bereits Ruanda gezeigt. Der ostafrikanische Staat ist inzwischen berühmt für seine sauberen Straßen, schon am Flughafen werden Besuchern jegliche Plastiktaschen abgeknöpft. Im Nachbarland Kenia wurde nach einem jahrelangen Tauziehen und zwei Anläufen endlich im August die Nutzung, Herstellung und der Import von Plastiksackerln untersagt. Und dies entgegen jeglichem Zweifel, Widerstand der Industrie und Verwirrung – zeitweise waren in den Supermarktregalen keine Müllsäcke zu finden, weil unklar war, ob sie auch Bestandteil des Verbots sind.
Doch was nun? Der Plastiksack ist nur ein Teil des Problems. In Kenia wird gemunkelt, dass die hartnäckige Umweltministerin Judi Wakhungu bereits ein Verbot von Plastikflaschen anvisiere. Dies durchzusetzen wird wohl ein harter Brocken. Allerdings habe das Plastiktaschenverbot in Kenia den Privatsektor dazu animiert, die Nutzung von Plastik zu verringern, sagt Barratt. „Lediglich eine ganze Art von Behältern zu verbieten wird das Problem nicht lösen“, sagt eine Sprecherin von Coca-Cola in Kenia. Das Unternehmen kooperiert demnach aber derzeit mit dem Verband kenianischer Hersteller und der Regierung, um eine effiziente Abfallentsorgung und ein Recyclingsystem zu entwickeln.
Denn darin liegt wohl die größte Herausforderung für Entwicklungsländer wie Kenia. Was in Österreich und Deutschland selbstverständlich ist – systematische Mülltrennung, Abfallentsorgung und Recycling –, ist in Kenia noch Zukunftsmusik. Zwar wird derzeit Plastikmüll im informellen Sektor und von einigen Privatunternehmen teilweise gesammelt und wiederverwertet. Doch die Kosten von Recycling seien derzeit noch weitgehend untragbar, erklärt Umweltaktivist Dipesh Pabari. „Noch gibt es nicht genug Anreiz, um im großen Stil mit der Nutzung von wiederverwertetem Plastik zu beginnen.“
Um zu zeigen, was mit recyceltem Plastik alles möglich ist, baut Pabari mit der Initiative FlipFlopi auf der kenianischen Insel Lamu ein etwa 18 Meter langes Segelboot aus wiederverwertetem Kunststoff. Für das Dhow – ein traditionelles Boot, mit dem die Küstenbewohner Kenias und Tansanias seit Jahrzehnten segeln – werden demnach 45 bis 60 Tonnen Plastikmüll verwendet, der für das Projekt in einer eigenen Fabrik recycelt wird. 200.000 an den Stränden angespülte bunte Flip-Flops werden den Rumpf des Schiffes verzieren. Mit dem Dhow wollen die Aktivisten von Kenia nach Südafrika segeln.
Das Segelboot soll zum Umdenken animieren, wie Pabari sagt. „Wir wollen neu definieren, was wir Menschen alltäglich nutzen, wie wir es nutzen und wie wir es wegwerfen.“Durch das Verbot seien Kenianer gezwungen, sich ein Leben ohne Plastiksack vorzustellen. Die Vision sei es, eine Welt ohne Einwegplastik zu schaffen.
„Die Verschmutzung mit Plastik ist jenseits von Gut und Böse.“