Zwölf Dosen Cola light Und ein kräftiger Schuss Verfolgungswahn
In einer spektakulären Reportage schildert die „New York Times“den Alltag von Donald Trump.
WASHINGTON. Gegen 5.30 Uhr in der Früh geht der Wecker. Dann wird als Erstes das Fernsehen im Schlafzimmer eingeschaltet. Oftmals noch aus dem Bett oder zumindest im Bademantel feuert Donald Trump die ersten Tweets ab, die die Welt erschüttern. So beginnt der Tag des amerikanischen Präsidenten. Aufgeputscht durch zwölf Dosen Cola light, die er im Laufe des Tages in sich hineingekippt hat, zappt der mächtigste Mann der Welt abends dann nach einem durchgebratenen Steak mit Salat und viel Nachtisch durch die PolitTalkshows, bevor er vor Mitternacht endlich sein Handy für fünf bis sechs Stunden beiseitelegt.
In einer minutiösen Großreportage, für die drei Top-Korrespondenten der „New York Times“mit insgesamt 60 Menschen in und um das Weiße Haus sprachen, hat die angesehene Zeitung einen Tag im Leben des Donald Trump nachgezeichnet. Das umfangreiche, drei Zeitungsseiten umfassende Porträt ist im politischen Washington das Tagesgespräch und bringt Trump in Rage. Es zeichnet das ebenso banale wie beunruhigende Bild eines Menschen, der von Verschwörungstheorien und narzisstischen Ängsten getrieben wird und deutlich mehr mit sich selbst als mit den Aufgaben seines Amts beschäftigt ist.
Für Trump sei jeder Tag ein „dauernder Kampf um Selbstschutz“, schreiben die Autoren: „Entgegen seinem öffentlichen Geschrei betrachtet er sich weniger als einen Riesen, der die Weltbühne beherrscht, als vielmehr als verleumdeten Außenseiter, der ständig darum kämpfen muss, ernst genommen zu werden.“– „Ich schaue nicht viel fern“, hat Trump kürzlich behauptet. Er wisse, dass Reporter dies sagten. Doch das seien Lügen: „Ich schaffe es wegen der ganzen Akten gar nicht, viel fernzusehen. Ich lese sehr viele Unterlagen.“
Das war ganz offensichtlich eine Selbststilisierung. Die „New York Times“schildert nicht nur das befremdliche Ausmaß des Fernsehkonsums des Präsidenten, sondern auch die unmittelbare Abhängigkeit seiner Befindlichkeit von dem, was er sieht. Dass Trump oft Beiträge aus seiner Lieblingssendung „Fox & Friends“im Frühstücksfernsehen unmittelbar nach deren Ausstrahlung auf Twitter kommentiert und den Tenor des konservativen Senders übernimmt, kann jeder Fernsehzuschauer in den USA selbst beobachten. Doch offenbar verfolgen auch seine Berater das Geschehen ganz genau. Wie Aktienhändler würden sie frühzeitige Warnsignale verfolgen: Kommentiere Trump einmal einen wichtigen Beitrag bei Fox nicht, habe der einstige Reality-TV-Star wahrscheinlich gerade die verhassten Konkurrenzprogramme von MSNBC oder CNN laufen. „Dann beginnt er den Tag höchstwahrscheinlich mit mieser Laune“, schreibt das Blatt.
Vier bis acht Stunden am Tag verbringt Trump nach den Recherchen beim Fernsehen. Selbst während Konferenzen flimmert ein stumm geschalteter Monitor im Hintergrund. Auch Zeitungen liest der Präsident. Doch dient ihm die Lektüre nach Angaben seines Ex-Chefstrategen Stephen Bannon im Wesentlichen zur Selbstvergewisserung. Wenn sein Name nicht in den Schlagzeilen steht, wird Trump nervös. Ohnehin fühlt er sich offenbar permanent verfolgt.
Die Untersuchung der RusslandAffäre durch Sonderermittler Robert Mueller scheint ihn mehr zu beunruhigen, als er zugibt. Und: „Er ist fest davon überzeugt, dass die Linke und die Medien ihn zerstören wollen“, erzählt der republikanische Senator Lindsey Graham, mit dem Trump gern Golf spielt – „also schlägt er zurück.“Viele altgediente Politiker seien beunruhigt über das erratische Verhalten und die psychische Instabilität des Präsidenten, heißt es in dem Porträt. Tatsächlich hatte der angesehene republikanische Senator Bob Corker im Oktober erklärt, Trump benötige eine Ganztagsbetreuung. Diesen Job übt Ex-General John Kelly aus, der Stabschef des Weißen Hauses. Offenbar ist er in mancher Hinsicht erfolgreicher als vielfach angenommen. So habe er es geschafft, die zuvor chaotischen Arbeitsabläufe im Regierungssitz halbwegs zu disziplinieren, heißt es.
Doch gegen zwei Dinge ist auch der General machtlos: die TV-Fernbedienung und das Handy. Kurz nachdem am Montag das Frühstücksfernsehen von MSNBC über die Zeitungsstory berichtet hatte, griff Trump zur digitalen Selbstverteidigung: „Eine weitere Lügengeschichte in der angeschlagenen ,New York Times‘“, twitterte er ohne Sinn für die unfreiwillige Ironie: „Ich schaue selten, wenn überhaupt, die Lügensender CNN und MSNBC. Schlechte Recherche!“