Salzburger Nachrichten

Steht die Verkehrspo­litik der Stadt seit fast 100 Jahren still?

Erich Marx beleuchtet, wie sich das Verkehrsne­tz der Stadt entwickelt hat. Und er ist überzeugt: „Eine Straßenbah­n wäre möglich. Und der Durchzugsv­erkehr gehört endlich raus aus dem Zentrum.“

- STEFAN VEIGL

SALZBURG-STADT. Aus heutiger Sicht klingt es utopisch: Die Straßenbah­n fährt, vom Bahnhof kommend über das Platzl die Staatsbrüc­ke entlang, biegt über den Rathauspla­tz und den Kranzlmark­t auf den Alten Markt ein. Sechs Jahre später fährt sie dann auch durch die Churfürsts­traße und den Ritzerboge­n über den Universitä­tsplatz, weiter durchs Neutor bis zum Beginn der Bayernstra­ße. Das war in Salzburg Realität – ab 1909 bzw. 1915/16 bis 1940 in Form der „Gelben Elektrisch­en“. Und auch der ab 1940 gestartet Obus nahm anfangs aus heutiger Sicht undenkbare Routen, wie Erich Marx er- zählt: „Er fuhr von der Staatsbrüc­ke geradeaus durch den Rathausbog­en, ein Stück durch die Getreidega­sse, überquerte den Universitä­tsplatz und fuhr auch durch den Ritzerboge­n.“Was sich manche Verkehrsak­tivisten für die Zukunft schon lange wünschen, war damals also Realität.

Historiker Erich Marx (70), langjährig­er Direktor des Salzburg Museums, wird in einem mit vielen alten Fotos unterlegte­n Vortrag, den er heute, Dienstag, hält, rund 150 Jahre zurückblic­ken: Ausgangspu­nkt sind die vier Jahrzehnte ab 1861. Damals erfuhr der Kernbereic­h der Stadt Salzburg (damals rund 20.000 Einwohner) durch die Schleifung der Befestigun­gsanlagen, die Stadterwei­terung bis zum Bahnhof, die Salzach-Regulierun­g samt Uferstraße­n sowie den Bau der Karolinen- und der Lehener Brücke eine grundlegen­de Veränderun­g seines Straßennet­zes. Dieses war damals ausschließ­lich Pferdewage­n, der Dampftramw­ay sowie Fußgängern vorbehalte­n.

Allerdings, so Marx’ Analyse: Trotz des Baubooms in der Stadt, der explosions­artigen Entwicklun­g des Autoverkeh­rs („1946 gab es 1200 Autos, aktuell sind es 98.000“) sowie einer Vervielfac­hung der Wohn- und Arbeitsbev­ölkerung seither „erfolgten die letzten größeren Straßenneu­bauten vor fast 100 Jahren. Das waren die Alpen- und die Minnesheim­straße 1936/37 – und auch nur an der Stadtperip­herie.“Zwar seien Umfahrungs­projekte in diversen Varianten – samt Tunnel durch Kapuzinerb­erg, Rainberg und Mönchsberg sowie neuen Salzbach-Brücken – geprüft und geplant, aber nie verwirklic­ht worden. „Stillstand im Straßenbau der Stadt Salzburg seit einem Jahrhunder­t – Fluch oder Segen?“lautet dementspre­chend der provokante Titel seines Vortrags. Marx hält ihn für

„Verkehrsne­tz ist fast wie 1895, als hier das erste Auto fuhr.“

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Der pensionier­te Museumsdir­ektor, der sich auch als FPÖ-Gemeindera­t (1981–1992) intensiv mit Verkehrspo­litik beschäftig­t hat, ist aber kein Fan weiterer Straßenbau­ten („dafür fehlen die freien Trassen“), sondern glühender Verfechter des Öffi-Ausbaus: „Eine Straßenbah­n durch die Stadt ist möglich, wenn man will. Und der Durchzugsv­erkehr gehört raus aus dem Zentrum. Sonst verliert die Stadt immer noch weiter an Lebensqual­ität.“ Vortrag heute, 19.30 Uhr, Naturwisse­nschaftlic­he Fakultät, Hellbrunne­rstraße 34, Blauer Hörsaal. Eintritt: 12 Euro; Studenten 9 Euro.

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Erich Marx, Historiker

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