Gröden: Der Klassiker wird 50
Auf keiner Abfahrt wurden so viele legendäre Geschichten geschrieben wie auf der Saslong.
Dem FIS-Kongress 1967 in Beirut hat die Skiwelt einen absoluten Klassiker zu verdanken: die berühmte Saslong im Grödnertal. Damals setzte sich das Südtiroler Tal in der Abstimmung um die WM 1970 gegen Kitzbühel durch – und man errichtete dafür wie versprochen eine moderne Abfahrt am Fuße des Langkofels, der auch Namensgeber der Abfahrt wurde. Denn auf Ladinisch, im Grödnertal immer noch Alltagssprache, heißt der Saslonch.
Kamelbuckel, Mauer, die CiaslatWiesen – das sind die Schlüsselstellen, die man sieht. Der wahre Scharfrichter ist aber der 3181 m hohe Langkofel: Denn mit Fortdauer des Rennens kommt die Sonne hinter dem Berg hervor, das verändert den Schnee und vor allem die Thermik entlang des Bergs. So ist Gröden der ideale Ort für Sensationssieger und kuriose Rennen: 1993 etwa sah Marc Girardelli in einem von vielen Stürzen geprägten Rennen (auch Stephan Eberharter riss sich damals auf den Kamelbuckeln das Kreuzband) wie der sichere Sieger aus. Bis mit Nummer 52 Werner Franz sensationell auf Rang eins fuhr. In den ORF-Weltnachrichten um 15 Uhr wurde schon sein Premierensieg vermeldet, ehe gegen 15.20 (so lang dauerte diese Sturzorgie) mit Nummer 66 der Liechtensteiner Markus Foser kam und gewonnen hat. Mit einer höheren Startnummer hat nie mehr jemand eine Abfahrt gewonnen.
Die absolute Mutprobe heißt bis heute Kamelbuckel. Einem touristischen Skiläufer würden die drei Hügel gar nicht auffallen, doch mit Tempo 120 entwickeln sie ihren Schrecken. So gab es viele Läufer, die die Buckel umfahren haben, wie etwa der legendäre Ingemar Stenmark bei seiner einzigen GrödenAbfahrt. Bis Dezember 1980: Da fuhr der junge Tiroler Uli Spieß mit dem Selbstvertrauen eines Sieges unmittelbar davor in Val d’Isère ins Grödnertal und fasste den Plan, der bis dato undenkbar war: den Sprung über die Kamelbuckel.
Dabei muss man zuvor ordentlich Tempo aufnehmen, den ersten Buckel drücken, auf dem zweiten Buckel abspringen und in einem 60 bis 70 Meter weiten Satz über den dritten Buckel drüberfliegen. Spieß verriet seinen waghalsigen Plan nicht einmal seinen Trainern: „Die hätten mich sonst nicht starten lassen.“Diese Linie gilt bis heute als die Ideallinie. Doch wenn der Sprung zu kurz gerät, landet man krachend auf dem dritten Buckel. Viele Karrieren gingen so zu Ende, wie etwa jene des Salzburgers Gerhard Pfaffenbichler, der 1989 hier zu Sturz kam. „Dann war in meinem Knie alles hin, was einen Namen hatte.“Auch Peter Müller, Anton „Jimmy“Steiner oder Michael „Much“Mair kamen hier zu Sturz, 2010 verdrehte es David Poisson, der Anfang November in Kanada tödlich verunglückt ist, beim Absprung, er flog kopfüber 60 Meter den Berg hinab.
Große Geschichten hat in Gröden auch stets Kristian Ghedina geliefert: Wie Franz Klammer hat er hier vier Mal gewonnen, auf dem Weg zum fünften Sieg 2004 ging alles schief: Erst wurde in Bologna in sein Auto eingebrochen – und die Diebe stahlen just Ghedinas Rennschuhe! Kurzerhand muss er sich neue anfertigen lassen, mit denen er nicht zurechtkommt. Im Rennen kommt es noch dicker: Als er in den Zielhang einbiegt, läuft plötzlich ein verschrecktes Reh neben ihm her. Ghedina lässt das kalt, er überholt das Tier mit Tempo 120. Noch kurioser war nur das Endergebnis: Ein gewisser Max Rauffer gewann vor Jürg Grünenfelder …
Entscheidend sind auch die Ciaslat-Wiesen, die meist so vereist sind, dass sich ein Normalskifahrer hier kaum halten kann. Wer hier mit dem falschen Tempo einfährt, der wird wie ein Spielball über die Wellen geschleudert. „Heuer habe ich unter dem blanken Eis noch die Blumen gesehen“, lästerte einst Herbert Plank. Auch kurios: Er ist bis heute der einzige Südtiroler Sieger (im Jahr 1977) beim Heimrennen. Denn bei kaum einer Abfahrt im Weltcup sind Südtirols Abfahrer so erfolglos wie in ihrer Heimat.
Bei der traditionell letzten Abfahrt vor Weihnachten kommt aber meist auch der gesellige Teil nicht zu kurz. In früheren Tagen sind nicht wenige Trainer oder Serviceleute direkt von der Hotelbar zur Liftstation gegangen. Vielleicht ist auch das ein Geheimnis hinter den vielen kuriosen Ergebnissen und Ereignissen auf der Saslong …
„Ich habe von meinem Plan nicht einmal den Trainern erzählt.“
Uli Spieß, Überflieger