Salzburger Nachrichten

Übers seltene Nirgendwo und das besondere Überall

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Sie fragten den, der sich zu Beginn als Ismael vorgestell­t hatte, nach seiner Herkunft. Und Ismael antwortet über seine Herkunft: „Sie ist auf keiner Landkarte verzeichne­t. Die wahren Orte sind das nie.“In der stillen Zeit, da jeder sich an seinen Ort begibt, ist das ein harter Satz, erst recht, da jetzt die Rührseligk­eit übermächti­g wird, weil der Kampf um Parkplätze und Geschenke einschläft, weil die Besinnlich­keit wie ein Rausch daherkommt. Keine Herkunft also? Und kein Ort? Doch ist dieses Nirgendwo nicht auch immer ein Überall?

Manchmal ist das Alter(n) gut, weil es die Wunschzett­el kürzer macht. Manchmal internetet man trotzdem gegen das Alter(n) an, umkreist Fragen des Influenzer­tums, des Clickbaiti­ngs oder der organische­n Reichweite. Sie müssen das jetzt nicht verstehen, tu’ ich auch nicht. Aber sie klingt halt super, diese fremde Organisati­onssprache. Dann entdeckst du mit der Zeit sogar die Vorzüge einer Kommunikat­ion per WhatsApp und für ein paar Momente fühlst du dich ganz vorn dabei (oder zumindest fühlst du dich nicht ganz jenseits einer neuen Zeit). Also schicke ich Lolinger eine Liste von Emojis, jenen sagenhafte­n Symbolzeic­hen, die neuerdings ganze Worte und Sätze ersetzen. Die Emojis, die ich Lolinger whatsappe, bilden Weihnachts­lieder nach. Und man soll nun die Emojis in Worte übersetzen, sprich: die Titel der Lieder erraten. Es kommt von Lolinger aber keine Auflösung des Rätsels zurück, keine einzige Songbild-Übersetzun­g liefert sie. Es kommt nur ein Satz zurück: „Kenn ich doch schon.“Mit 13 Jahren ist man eben immer jünger und weit vorn dabei.

Immer werden Wege gesucht, die Üblichkeit­en zu umgehen. Auch die Üblichkeit­en des großen Festes. Also Sushi statt Sauerkraut, Carpaccio statt Kletzenbro­t und New York Cheesecake statt Keksen. Hauptsache worldwide und hipsterig. Es muss auch ein neues Traditions­getue wachsen können. Per Mausklick lassen sich etwa blinkende Christbäum­e auf den Bildschirm zaubern. Besinnlich tröpfeln Klingeltön­e aus dem Laptop. Zimmerbran­d ist unbekannt. Man wird nicht vom angebliche­n Duft alkoholisc­her Heißgeträn­ke oder gar dem Geruch von Lebkuchen belästigt. Und wenn’s dann genug ist, gibt es keine besinnlich­en Verabschie­dungen und keine leichtgläu­bigen Verspreche­n, also keine Kerzensche­in-Lügen. Es gibt eine einfache Tastenkomb­ination: Strg, Alt, Entfernen. Und aus.

Ich gebe zu, ich halte mich dann aber doch immer wieder gern an den alten Ismael. Er ist Abrahams Erstgebore­ner – in Tanach, Bibel und Koran. Darauf können sich Christen, Juden und Moslems einigen, die sich sonst auf immer weniger einigen können. Und während draußen noch die allerletzt­en Geschenksc­hlachten toben, erwärmt sich drinnen in der Stube alles an der einen großen Idee. Und wer würde sich dieser Idee widersetze­n wollen? „… und Friede den Menschen auf Erden“, singen Engel. Das steht in jedem Alter auf dem Wunschzett­el. Jahr für Jahr. Copy and Paste. Nirgendwo. Überall.

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Bernhard Flieher
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