Von wegen Stille Nacht
Weihnachten in Europa. Essbare Baumstämme, fliegende Hexen oder gar eine Karpfenschuppe im Geldbörsel gehören bei unseren europäischen Nachbarn zum Weihnachtsfest.
Frankreich:
Dreizehn Desserts und Holzscheite Keine Frage, hier geht’s auch zu Weihnachten ums Essen. Es geht weniger besinnlich als vielmehr fröhlich zu. Zum Réveillon, dem Weihnachtsessen am 24. Dezember, zählen typisch französische Spezialitäten wie Foie gras, Austern, Hummer und Schnecken. Dazu wird natürlich Champagner getrunken. Die Provence wartet mit einem besonderen Brauch auf: den „treize desserts“– 13 Desserts von Nüssen bis Mandarinen – für die zwölf Apostel und Jesus Christus. Doch fast überall wird die Bûche de Noël aufgetischt, ein „Baumstamm“aus Biskuitteig und Buttercreme. Der Stamm symbolisiert die Wärme im Kamin, mit der man das Christkind willkommen heißt. Außerdem soll die Asche, die am Tag darauf auf den Feldern verstreut wird, Glück und reiche Ernte für das nächste Jahr bringen. Geschenke, die der Père Noël, der Weihnachtsmann, gebracht hat, gibt es erst am 25. Dezember. Und am 26. Dezember geht’s für die Franzosen bereits zurück zur Arbeit.
Italien:
Panettone und Befana In Italien kommt man im Dezember aus dem Feiern gar nicht mehr heraus. Nach Nikolaustag, Mariä Empfängnis und Kauf des Weihnachtsbaums werden die Krippen aufgebaut. Sie spielen in Italien eine wichtige Rolle und lösen regelrechte Wettkämpfe zwischen benachbarten Gemeinden aus. Am 24. Dezember wird dann – zumindest in Rom – das Weihnachtsfest mit einem Kanonenschuss vom Castel Sant’Angelo eingeleitet. Während den ganzen Tag über gefastet wird, biegt sich am Abend bei der Cena della Vigilia di Natale, der Wache vor dem Weihnachtsfest, der Tisch unter – allerdings fleischlosen – Köstlichkeiten. Vor allem einer darf nicht fehlen: der Panettone. Dieser Kuchen mit kandierten Früchten und Rosinen schmeckt besonders gut zu süßem Wein oder Spumante. Die Weihnachtsmesse auf dem Petersplatz ist fester Bestandteil des Heiligen Abends. Wer nicht direkt dabei sein kann, verfolgt sie im Fernsehen. Am 25. Dezember gibt es ausschließlich Gerichte ,dalla terra‘, von der Erde, also Fleisch, Wurst und Salami, und den Abschluss der Feierlichkeiten bildet die Hexe La Befana am 6. Jänner. Diese fliegt auf der Suche nach dem Bambino Gesù, dem Christkind, von Haus zu Haus. Braven Kindern bringt sie Geschenke, weniger braven Kohlen.
Spanien:
Weihnachtslotterie und Hosen runter Bereits in der Adventzeit, wenn die Krippen aufgestellt werden, könnte einem eine Figur darin spanisch vorkommen: der Caganer. Dieses „Scheißerchen“in traditionell-katalanischer Bauerntracht mit heruntergelassener Hose verrichtet sein Geschäft gleich neben der Krippe. Symbolisieren soll es den gesunden Lauf der Natur und die Düngung der Erde. Den Startschuss für die Weihnachtstage gibt am 22. Dezember die Weihnachtslotterie Sorteo de Navidad mit der live übertragenen Ziehung der Gewinnzahlen im Fernsehen. Der Heilige Abend, die Noche Buena, und der Christtag werden fröhlich im großen Familienkreis und mit vielen Leckereien begangen. Unbedingt dazu gehört das Turrón, ein picksüßer Riegel, der aus Mandeln, Nüssen, Honig und Eiern hergestellt wird. Nach dem Essen wird es noch einmal ernst: Die Urne des Schicksals kommt auf den Tisch. In ihr befinden sich kleine Geschenke, aber auch Nieten. Um Mitternacht geht’s dann in die Hahnenmesse. Warum sie so heißt? Weil ein Hahn der Erste war, der die Geburt Christi verkündet hat.
Polen:
Zwölf Gerichte und Heubüschel unter dem Tisch Im katholischen Polen ist Weihnachten das wichtigste Fest des Jahres. Auf Ablauf, Dekoration und Harmonie wird größter Wert gelegt, da der Tag wegweisend für den Verlauf des folgenden Jahres ist. Neben einem üppigen Mahl und dem zusätzlichen Gedeck für Verstorbene oder Bedürftige auf dem Tisch liegt darunter stets ein kleines Heubüschel für den Esel, mit dem das Jesuskind in die Welt gekommen ist. Der Weihnachtsabend beginnt, sobald der erste Stern am Himmel steht. Das Weihnachtsevangelium wird verlesen und dann eine Oblate mit allen Anwesenden geteilt. Da man in Polen glaubt, dass in der Heiligen Nacht auch die Tiere sprechen können, bekommen auch sie eine Oblate, allerdings eine farbige. Das Essen selbst ist fleischlos. Aus Karpfen, Piroggen und Hering werden oft zwölf Gerichte gezaubert, in Anlehnung an die zwölf Apostel. Auch sie symbolisieren in ihrer Vielfalt Wohlstand für das kommende Jahr. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, steckt sich eine Fischschuppe oder eine Fischgräte vom Weihnachtskarpfen ins Portemonnaie.
Finnland:
Saunabesuch und Himmeli Um Punkt zwölf Uhr am 24. Dezember beginnen die Feierlichkeiten mit der Verkündung des Weihnachtsfriedens in der ehemaligen finnischen Hauptstadt Turku. Wer nicht am Ort ist, verfolgt dies über Funk und Fernsehen. Dann geht die ganze Familie erst einmal gemeinsam auf den Friedhof und daraufhin in die Sauna. Beides dient dazu, die Verstorbenen am Fest teilhaben zu lassen. Denn, so der Glaube, diese zeigen sich zu Weihnachten auch in der Sauna. Das Land der Rentiere beansprucht für sich, dass der Weihnachtsmann vom Berg Korvatunturi in der Stadt Savukoski stammt. Bei der Weihnachtsdekoration geht es sehr traditionell zu: Über den Esstisch kommt ein pyramidenförmiges Mobile aus Strohhalmen, der Himmeli. Gegessen werden Joulukinkku, ein Weihnachtsschinken mit Steckrüben, und süßer Reisbrei, in den eine einzige Mandel verrührt wird. Wer sie findet, der hat Glück im nächsten Jahr.
England:
Truthahn Gregor und Mistelzweige Im traditionsreichen England kommt der Adventzeit eine wichtige Bedeutung zu. Kinder ziehen von Haus zu Haus, um sogenannte Carols, alte Weihnachtslieder, zu singen. Stechpalmen und Mistelzweige werden aufgehängt als Zeichen von Frieden und Versöhnung – und natürlich, um sich unter dem Mistelzweig küssen zu können. Überhaupt ist die Dekoration in England zur Weihnachtszeit farbenfroh und üppig. England ist auch Weltmeister im Verschicken von Weihnachtskarten. Jahr für Jahr entbrennt ein Wettstreit in der Familie oder unter Freunden, wer die meisten Karten auf dem Kamin aufgereiht hat. Nur einer ist zu Weihnachten nicht froh: Gregor, der Weihnachtstruthahn. Er zählt mit Plumpudding und Eierspeise zum typischen Weihnachtsessen. Ruhe und Besinnlichkeit sind hier nicht gefragt, eher Papphütchen und Knallbonbons. Die Geschenke bringt Father Christmas durch den Kamin, sofern er ihn noch trifft. Denn in jedem Haus werden ihm ein Mince Pie und ein Gläschen Sherry hingestellt. Und was in Italien die Papstansprache ist, muss in England natürlich die Weihnachtsrede der Queen sein. Sie wird im Kreise der Familie verfolgt. Erstaunlich ist, dass der Boxing Day, der 26. Dezember, dem Heimwerken gewidmet ist und daher viele Baumärkte geöffnet haben.