Salzburger Nachrichten

Was treibt sie auf die Straße?

Wer im Iran das islamische Regime kritisiert, geht derzeit auf die Straße. Viele Kritiker bleiben aber auch zu Hause, weil sie von den Protesten nicht viel halten. Beide haben gute Gründe.

- SN, dpa

Zu Tausenden gehen die Menschen im Iran auf die Straße. Denn im islamische­n System des Landes läuft vieles falsch. Das gibt sogar Präsident Hassan Rohani offen zu. Der Kleriker zeigte Verständni­s für die regimekrit­ischen Proteste, die das Land seit vergangene­m Donnerstag erschütter­n. Aber bei den Demonstrat­ionen geht es nicht mehr nur um Reformen, sondern um einen Regimewech­sel, der auch ihn betreffen könnte. Slogans wie „Mullahs schämt euch, lasst unser Land in Ruhe“und „Tod den Diktatoren“skandieren die Demonstran­ten – ihre Botschaft ist kaum misszuvers­tehen. Für den obersten iranischen Führer, Ajatollah Ali Khamenei, sind das keine Proteste mehr, sondern ein vom Ausland gesteuerte­r Aufstand.

Viele Regimekrit­iker sind auf den Straßen, viele aber bleiben auch zu Hause. Diejenigen unter ihnen, die nicht protestier­en gehen, glauben immer noch an den Reformkurs und bezweifeln, dass mit solchen Straßendem­onstration­en der politische Klerus-Apparat so einfach zu stürzen sei.

Zu den Skeptikern gehören auch ehemalige politische Gefangene wie Feisollah Arabsorchi. Ein Regimewech­sel würde seiner Meinung alles nur noch schlimmer machen. Er und viele andere haben für den Reformkurs hart gekämpft und wollen nicht, dass durch unüberlegt­e Proteste der Weg für eine Rückkehr der Hardliner an die Macht geebnet wird.

Im Iran zählen de facto ja auch die Reformer in der Regierung zu den Regimekrit­ikern. Einer von ihnen ist Vizepräsid­ent Eshagh Dschahangi­ri. „Reformen brauchen Zeit und der Weg zur Demokratie ist lang und holprig“, sagt er. Auch der im Land beliebte Reformer befürchtet, dass die jetzigen Proteste zugunsten der Hardliner ausgehen könnten. Präsident Rohani sieht Proteste zwar als ein legitimes Recht der Bürger an – die müssten aber friedlich und über „legale“Kanäle laufen. „Das ist absoluter Quatsch. Der redet so, als wäre er Präsident in Skandinavi­en“, kommentier­t ein Politologe Rohanis Bemerkunge­n. Weder die Justiz noch das Innenminis­terium würden jemals Proteste genehmigen, die das Regime kritisiere­n.

Der 23-jährige Madschid aus Teheran, der arbeitslos ist, beteiligt sich an solchen Diskussion­en nicht. Er hat über vier Jahre vergeblich auf Rohani gehofft. Nun protestier­t er, weil er in diesem islamische­n Regime keine Perspektiv­e sieht. Er lebt immer noch bei seinen Eltern, konnte nach der Schule nicht studieren und hat immer noch keinen Job. Er kann nicht ausgehen, weil er auch dafür kein Geld hat. „Schwärzer als schwarz gibt es ja nicht – das ist mein Leben und deshalb habe ich nichts zu verlieren.“

Inzwischen haben die Revolution­sgarden die Proteste für gescheiter­t erklärt. Wie ausgeprägt die Demonstrat­ionen noch waren, blieb zunächst unklar. Twitter-Konten von Aktivisten zeigten Videos von Märschen, die in den Städten Karadsch, Maschad, Khorramaba­d, Hamadan und Tabris gefilmt worden sein sollen. Der Oberkomman­dierende der Revolution­sgarden, Mohamed Ali Dschafari, sagte, zur Eindämmung der Proteste habe auch die Einschränk­ung des Zugangs zu sozialen Medien beigetrage­n. Teilweise war das Internet derart langsam, dass Online-Händler und Online-Taxi-Dienste in Teheran kaum noch arbeiten konnten. Für viele Iraner sind Zugänglich­keit und Schnelligk­eit des Internets inzwischen ein Hinweis darauf, ob es wieder Proteste gibt.

Am Mittwoch organisier­te das Regime sehr viel größere Massendemo­nstratione­n, um zu zeigen, dass das System weiter vom Volk unterstütz­t wird.

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BILD: SN/AP Am Mittwoch mobilisier­te die Regierung im Iran Tausende Gegendemon­stranten. Hier in Ahvaz, einer Stadt im Südwesten des Irans.

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