Kunst kommt von innen
Kreativität ist nicht von der jeweiligen Bildung oder vom sozialen Status abhängig.
Die Kunst kennt keine Behinderung – diese Aussage vereint Kunsttherapeuten, Kunsthistoriker und Galeristen. Wenn wir eine menschliche Schöpfung als Kunst anerkennen, bedeutet es, dass sie uns berührt – wenn auch vielleicht irritiert oder verunsichert. Körperliche, geistige oder psychische Einschränkungen verhindern sehr viel – allein schon im Alltag –, aber sie behindern nicht die künstlerische Begabung selbst.
Die Beeinträchtigung kann sich auf die Besonderheit eines Menschen mit dem Schatten einer Krankheit legen – mit Schmerz, Zweifel, oder auch mit widrigen Lebensumständen; sie kann aber auch ein Impuls sein, um das Einzigartige erst ans Licht zu bringen. Eine Herausforderung kann in einem Lebensbereich überfordern und in einem anderen befreien oder heilen. Oft entwickelt sich die von den Klienten gewählte Herausforderung in einem (selbst-)therapeutischen Prozess zu einer echten Unterstützung. Wie erreicht man das, eine solche Mitte? Wie entfaltet ein Mensch mit Beeinträchtigung seine Selbstwirksamkeit?
So wenig wie Kreativität von der jeweiligen Bildung oder vom sozialen Status abhängig ist, so wenig garantieren beste Gesundheit und Berufserfolge die Gabe eines außergewöhnlichen Talentes. Kreativität geht jedoch Hand in Hand mit der Selbstentfaltung und der Wirksamkeit – und dafür muss ein Freiraum geschaffen werden. Es muss einen gesellschaftlichen und institutionellen Rahmen geben, der Unterstützung, Anerkennung und Vermittlung anbietet. Dies ist die Aufgabe von Kunstwerkstätten in Sozialeinrichtungen – und diese Orte sind die Antwort auf die Frage einer möglichen Entfaltung von Kreativität, Talent und Wirksamkeit.
Jene Künstler, die in den inklusiven Kunstwerkstätten tätig sind, werden der Art brut, der Outsider Art oder der sogenannten Außenseiter-Kunst zugeordnet. Jedoch betrachtet sich keiner dieser Künstler selbst als Außenseiter! Im Mittelpunkt ihres Daseins steht das Schaffen! Sie widmen sich ihrer inneren Stimme, ohne jede pseudotherapeutische Lenkung. Die innere Kraft ist unverfälscht und ausdrucksstark – nach ihr zu suchen oder ihr zu folgen ist das stärkste Bedürfnis in der Kunst. Deswegen darf man einen kranken Menschen nie auf seine Patientengeschichte reduzieren, da jede Lebensgeschichte immer mehr beinhaltet und in die Tiefe der Persönlichkeit führt.
Künstler mit Beeinträchtigung soll man als Schaffende ansehen und ihre Beeinträchtigung nur so weit im Blick haben, als sie selbst ihre Krankheit thematisieren, während die fantastische Welt ihrer großen Kreativität uns Betrachtern offensteht. Das Kunstwerk bietet einen Zugang zur fremden und eigenen Innerlichkeit. Małgorzata Bogaczyk-Vormayr ist polnische Philosophin, das Forschungsprojekt zur Art brut realisierte sie u. a. am Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg. Buchtipp: „Outsider Art“. Interdisziplinäre Perspektiven einer Kunstform, hg. v. M. BogaczykVormayr, O. Neumaier (mit Beiträgen von: M. Zuckriegl, F. Altnöder, J. Feilacher, Ch. Allesch u.a.), LIT-Verlag 2017, S. 368. Buchpräsentation: 18. Jänner 2018, 19.30, Uhr, Literaturhaus Salzburg.