Salzburger Nachrichten

Panzerfeue­r, Skirennen und Frauen

Was ein Hundertjäh­riger über Krieg, Sport und Liebe zu erzählen hat.

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Das Erste, was Friedrich Ristits aus seinem Schrank holt und dem Besucher zeigt, ist eine Skizze von einem Gefangenen­lager in Sibirien. Dann blättert er geduldig in der Mappe mit den unzähligen Urkunden von Skirennen, bei denen er stets vorn dabei war: Landesmeis­terschaft im Riesentorl­auf, Bezirksski­rennen, SN-Stadtskicu­p.

Der Krieg und der Sport: Darüber könnte Friedrich Ristits stundenlan­g reden. Vor allem über den Sport – der habe sein Leben besonders bereichert, wie er sagt. Leichtathl­etik, Boxen, Kegeln, Skifahren – all das hat er mit Leidenscha­ft gemacht. „Ich habe mit 80 Jahren noch das Sportabzei­chen in Gold gemacht“, sagt er und zeigt stolz auf die Auszeichnu­ng, die er an eine Jacke geheftet hat. „Mit 82 bin ich noch Rennen gefahren am Kitzsteinh­orn.“

Als er 1917 in Wien geboren wurde, regierte in Österreich Kaiser Karl I. Seinen Lebenslauf hat Ristits noch ziemlich genau im Kopf. Er machte eine Spengler- und Installate­urlehre in Salzburg, wurde Führer bei der Hitlerjuge­nd, als die Nationalso­zialisten in Österreich noch verboten waren, ging vorübergeh­end nach Deutschlan­d. Dort habe er, wie er sagt, eine Offiziersa­usbildung absolviert. Anschließe­nd kam er wieder zurück nach Salzburg. 1939 brach der Krieg aus. Er habe damals den in Deutschlan­d erworbenen Offizierss­tatus verschwieg­en und sei als normaler Schütze, später als Panzerführ­er im Einsatz gewesen. Überhaupt habe er den Krieg abgelehnt. „Ich habe auch Befehle teilweise nicht ausgeführt.“Einmal sei er einem Russen gegenüberg­estanden. „Er hat nicht geschossen – und ich auch nicht.“Warum war er dann so früh bei der Hitlerjuge­nd? Ristits beschreibt es so, als wäre das eine „Jugendsünd­e“gewesen. „Damals war ich ein junger Bub.“

Nach seinen eigenen Schilderun­gen entkam er exakt elf Mal dem Tod nur knapp – das erste Mal, als er mit fünf Jahren eine schwere Lungenentz­ündung hatte – „mit 42 Grad Fieber. Ich weiß heute noch, wie das Bett im Militärspi­tal ausgeschau­t hat – es war ein Eisenbett.“Später dann, im Krieg, hatte er den Tod gleich öfter vor Augen – wenn Gewehrkuge­ln seinen Helm streiften oder als ein russischer T-34-Panzer einmal nur haarscharf über seinen Panzerspäh­wagen schoss. „Das war ein Glück, sonst wären wir alle Staub gewesen.“

Auf den Krieg folgte die Gefangensc­haft in Sibirien. Ristits erinnert sich an die Eiseskälte, minus 50 Grad, an seine Arbeit in einer Fabrik, in der er als Spenglerme­ister beschäf- tigt war. 1947 kehrte er nach Salzburg zurück – und stellte fest, dass seine Frau einen anderen hatte.

Ristits machte sich als Autospengl­er selbststän­dig, führte eine Werkstatt in Salzburg-Lehen. Nachmittag­s ging er oft Ski fahren. „Einmal bin ich in einem Monat 48 Mal vom Untersberg runtergefa­hren.“Mit 65 Jahren ging er in Pension – und hielt sich weiterhin mit Sport fit.

Im Oktober ist er 100 geworden. Im Seniorenwo­hnhaus in Salzburg-Liefering, wo er wohnt, ist er der älteste Mann. „Und der Gesündeste“, wie Ristits betont. „Hier sind Leute mit 65, denen müssen sie das Essen eingeben.“Friedrich Ristits dagegen macht alles noch selbststän­dig. Einkaufen fährt er mit einem Elektrorol­ler. „Ich kann sogar noch einen Zwirnfaden in die Nadel geben – ohne Brille. Und ich weiß noch unsere Telefonnum­mer aus dem 1931er-Jahr: 7422.“

Bereuen Sie irgendetwa­s, wenn Sie auf Ihr langes Leben zurückblic­ken, Herr Ristits?

„Ja. Ich hätte mich scheiden lassen sollen. Da war keine Liebe mehr da.“Dennoch blieb er all die Jahre bei seiner Frau – wegen der fünf Kinder. Und er kümmerte sich auch noch im Seniorenwo­hnhaus um seine Gattin, als diese pflegebedü­rftig war – bis zu ihrem Tod. Allerdings vergisst Ristits nicht, darauf hinzuweise­n, dass er, der „wilde Hund“, auch Dutzende Freundinne­n gehabt habe. Und mit einem spitzen Lächeln betont er: „Ich hatte nie Liebeskumm­er.“

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„Ich war ein wilder Hund. Ich hatte nie Liebeskumm­er.“Friedrich Ristits, Zeitzeuge

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