Irans oberster Führer bleibt hart
Das Regime hat seine Machtmittel genutzt, um auch die neue Protestwelle unter Kontrolle zu bringen. Doch der Unmut der verarmten Massen müsste für Teheran ein Alarmzeichen sein.
Die iranischen Revolutionsgarden verkündeten am Sonntag bereits das Ende der Proteste im Land. Der Vizechef der iranischen Justiz, Hamid Shahriari, forderte am Montag die Höchststrafe für Anführer der regimekritischen Kundgebungen: das Todesurteil. Präsident Hassan Rohani hingegen zeigte neuerlich Verständnis für die Proteste. „Wir müssen die Tatsache akzeptieren, dass das Volk das letzte Wort hat“, sagte er. Es gebe unter Politikern „keine Heiligen“, und daher sei auch kein Politiker vor Kritik geschützt. Die Demonstranten hätten „wirtschaftliche, politische und soziale Forderungen“gehabt.
Irans Regime zeigt sein bekanntes Doppelgesicht. Widersprüchlicher geht es kaum: Als Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei auf seiner Homepage versuchte, die Unruhen zu erklären, die seit einer Woche sein Land erschütterten, bot er altbekannte Verschwörungstheorien feil: Feinde des Irans hätten „unterschiedliche Mittel“eingesetzt, um für „Unruhe in der Islamischen Republik zu sorgen“. Dabei hatte es Rohani einen Tag zuvor als „Fehler“bezeichnet, die Proteste als ausländische Verschwörung zu betrachten.
Die zwei wichtigsten Politiker des Irans klingen, als lebten sie in zwei Parallelwelten, die einander feindlich gegenüberstehen. Der Streit zwischen Reformern und Hardlinern in Irans Regime ist wieder für alle Welt sichtbar. Der Versuch, die Massen zu mobilisieren und zu instrumentalisieren, hat wohl die jüngsten Unruhen ausgelöst. Darauf trachtete das Regime danach, die Geister, die es gerufen hatte, wieder loszuwerden.
Die neue Krise bahnte sich seit Langem an. Der systemtreue Reformer Rohani kam 2013 als zähneknirschendes Zugeständnis der Erzkonservativen an die Macht. Sie mussten die vier Millionen Iraner beruhigen, die 2009 nach dem gefälschten Wahlsieg des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad monatelang gegen das Regime demonstrierten. Dessen Amtszeit ruinierte das Land wirtschaftlich, isolierte es diplomatisch und spaltete die Gesellschaft. Deshalb erkannten selbst Hardliner die Notwendigkeit einer Kursanpassung. Rohani erschien ihnen im Vergleich zu noch kritischeren Reformern wie MirHossein Mussawi als kleineres Übel.
Doch die Hardliner ließen Rohani nie frei walten. Sie hinderten ihn daran, wichtige Wahlversprechen umzusetzen: Er konnte weder Reformer aus dem Hausarrest befreien noch der Bevölkerung mehr Rechte erkämpfen. Aus wirtschaftlicher Not tolerierten sie zwar Rohanis weniger konfrontativen außenpolitischen Kurs und das Atomabkommen. Doch als er sich anschickte, den Kern ihres Machtapparats anzugreifen, holten sie zum populistischen Gegenschlag aus.
Es ist bezeichnend, dass die Unruhen ausgerechnet in der Stadt Maschhad begannen. Irans zweitgrößte Stadt ist Hochburg der regimetreuen Konservativen. Doch protestierten plötzlich Tausende Menschen auf den Straßen und forderten: „Tod für Rohani!“Sicherheitskräfte blickten tatenlos zu.
Denn die Kundgebung wurde wohl von ultrakonservativen Imamen des Establishments angestiftet. Ahmad Alamolhoda, ein prominenter Prediger und Hardliner, musste sich bereits vor dem Nationalen Sicherheitsrat erklären. Er soll gegen Rohani gehetzt haben.
Normalerweise interessieren sich Iraner nicht für das Budget. Doch Anfang Dezember wollten Reformer und Hardliner die Bevölkerung mit gezielten Datenlecks aus vertraulichen Abschnitten des Budgets mobilisieren. Zuerst hörten die Iraner, dass ein großer Teil des Haushalts an religiöse Institutionen gehen sollte. Das sind die Pfründen für die Klientel des konservativen Establishments. Das Imam-Khomeini-Bildungs- und -Forschungsinstitut des Hardliners Mohammad Meshbah-Yazdi in Qom soll acht Mal mehr staatliche Zuwendungen erhalten als noch vor zehn Jahren.
Während die Bevölkerung dauernd den Gürtel enger schnallen muss, werden die Gehälter der Vertreter Khameneis an den Universi- täten weiter erhöht. Auch die linientreuen Basidsch-Milizen bekamen saftige Zuschläge. Der Militäretat stieg um 20 Prozent, die regimetreuen Revolutionsgarden erhielten gleich drei Mal mehr Geld als Armee, Luftwaffe und Marine zusammen.
Rohani wollte wohl Stimmung gegen die Hardliner machen. Die aber schlugen zurück und veröffentlichten andere Teile des Budgets. Die Iraner erfuhren, dass die Sozialhilfe um 50 Prozent, Entwicklungsprojekte um 15 Prozent gekürzt, Subventionen für Benzin gestrichen und öffentliche Schulen privatisiert werden sollen. Das brachte viele in Rage: „Die Regierung will das Benzin verteuern. Dann können wir Armen nicht mehr fahren – und die Reichen freuen sich, weil endlich die Straßen leer sind“, sagte ein Demonstrant im Staats-TV. Die Proteste in Maschhad waren ganz im Sinne der Konservativen, die Rohani schwächen, womöglich gar zum Rücktritt zwingen wollten.
Doch nachdem in Maschhad Tausende straffrei demonstriert hatten, bekamen plötzlich Zehntausende in vielen Städten Mut, ihren Unmut ebenfalls kundzutun. „Hier entlädt sich die über Jahrzehnte aufgestaute Wut gegen das Regime“, schreibt der politische Analyst Hojat Assadi. Die Hintergründe der Proteste seien klar: „Die wirtschaftliche Lage, Inflation, hohe Arbeitslosigkeit, Ungerechtigkeit, Korruption sind der Kern der Unzufriedenheit.“Was jetzt aber das Feuer entfache, sei Wut über fehlende Grundrechte.
Nach rund zehn Tagen sind die Proteste in der Islamischen Republik Iran offenbar abgeflaut. Das harte Vorgehen der Regimekräfte (21 Tote, bis zu 1800 Festnahmen) zeigte offenbar Wirkung. Dem Iran stehe dennoch eine unruhige Zeit bevor, meint Assadi: „Wir erleben einen großen Anfang. Ab jetzt wird es immer wieder Unruhen geben.“Das Volk sei seit 2009 wie ein schlafender Löwe gewesen. „Doch jetzt ist er geweckt.“
„Es wird immer wieder Unruhen geben.“