Ein paar Handgriffe retten Leben
Wie lange liegt der letzte Erste-Hilfe-Kurs zurück? Bei den meisten Österreicherinnen und Österreichern wohl Jahre oder gar Jahrzehnte. Die SN haben einen Auffrischungskurs besucht – 17 Jahre nach dem ersten Training, das retten helfen soll.
WIEN. Die letzte Herzdruckmassage-Übung liegt 17 Jahre zurück. Das war damals, als Grundlage für den Erwerb des Führerscheins. Danach: nie wieder angewendet, nie wieder aufgefrischt. Ein bisschen schlechtes Gewissen war schon länger dabei. Was, wenn man zu einem Unfall dazukommt? Wie helfen?
Wissenslücken füllt das Rote Kreuz bei Auffrischungskursen. Acht Stunden dauert eine Variante, 16 eine weitere. Angeboten werden sie in jedem Bundesland. 2016 unterrichtete das Rote Kreuz österreichweit 179.995 Erste-Hilfe-KursTeilnehmer. Die acht Stunden kosten 62 Euro, 16 gibt es für 72 Euro.
Schauplatz für den SN-Check: das Ausbildungszentrum im dritten Wiener Gemeindebezirk. 19 Frauen und Männer sitzen um acht Uhr früh im Seminarraum. Arzu Kalfa stellt sich als Trainerin für diesen Tag vor. Eigentlich arbeitet sie in einer Apotheke. Schulungen in der Zentrale, bei Firmen oder mit Kindern macht sie zusätzlich zu ihrem 40-Stunden-Job. Kalfa fragt in die Runde, wer aus welchem Grund da ist. Die meisten sind gekommen, weil sie von ihren Firmen geschickt wurden. Sie lassen sich zu betrieblichen Ersthelfern ausbilden. Ein Mann konnte das Wissen aus einem vorherigen Kurs bereits anwenden. Er hat auf einer Baustelle einen Kollegen mit Verätzung erstversorgt.
Mehr Männer als Frauen, mehr um die 30 Jahre als ältere, sitzen auf den Sesseln und hören zu, wie die Trainerin mit etwas Theorie beginnt. „Erste Hilfe kann überall gebraucht werden. Am Berg, im Geschäft, zu Hause. Seid nicht ignorant, wenn etwas passiert. Geht hin, helft – egal wie der Mensch aussieht, der euch braucht. Lauft“, sagt Kalfa. Nachdenkliche Gesichter. Sie legt nach: „Mit Kleinigkeiten lassen sich Leben retten.“Erst Schweigen. Dann Tatendrang. Die 19 Teilnehmer sehen der Trainerin zu, wenn sie etwas vormacht – und probieren dann selbst. Wie man Verletzte zudeckt oder in die stabile Seitenlage dreht zum Beispiel. Wie man den Motorradhelm abnimmt oder wie man Unfallopfer von einer Straße wegzieht.
Oder wie man sie aus dem Auto bekommt. Dazu geht die Gruppe in den Keller des Ausbildungszentrums. Dort befindet sich die „San Arena“– ein Bereich, in dem Szenen nachgebaut sind. Ein Wohnzimmer steht da, ebenso Autos.
Kalfa lässt einen jungen Mann auf den Fahrersitz einsteigen. Er schnallt sich an und spielt dann ein Unfallopfer, das nicht bei Bewusstsein ist. Kalfa stellt den Motor des Pkw ab. Sie greift unter dem Lenkrad zum Zündschlüssel. „Nicht dass uns der Airbag ins Gesicht knallt“, sagt sie. Die eigene Sicherheit sei wichtiger als die von jemand anderem. Dann schnallt sie das Übungsopfer ab und zieht es im Rautekgriff aus dem Fahrzeug. Weil sie ihn mit ihrem Knie stützt, kann die kleine Frau einen erwachsenen Mann bergen.
Reihum versuchen sich die Teilnehmer paarweise. Das Abschnallen funktioniert problemlos, das Packen des Partners ebenso. Das Heben ist anstrengend, aber es geht.
Zurück im Seminarraum stehen Herzmassage und Mund-zu-MundBeatmung an der Puppe auf dem Programm. Arzu Kalfa hat für jeden ein „Übungsgerät“vorbereitet. Damit klar wird, wie anstrengend die Massage des Herzens im Ernstfall ist, lässt sie die Leute zehn Minuten durchgehend üben. Die Stimmung ist gut, es wird anfangs gelacht. Nach ein paar Minuten sind die Gesichter rot. Das Drücken auf den nachgebauten Brustkorb muss kräftig sein. Und beinahe im Sekundentakt. Zehn Minuten ziehen sich. Danach sollte bei einem echten Zwischenfall die Rettung am Unfallort sein. Ansonsten heißt es weitermachen, mit letzten Kraftreserven.
Kalfa erklärt, dass die Bereitschaft, in einem Notfall Erste Hilfe zu leisten, in Österreich nicht allzu groß ist. Zahlen aus 2015 zeigen, dass 23 Prozent der Kursteilnehmer sagten, „auf alle Fälle“anzupacken, 45 Prozent, „eher doch“. Die anderen hätten oft Angst, das Falsche zu tun. „Jeder kann helfen“, sagt die Trainerin mit Überzeugung. Denn das Geringste, was man leisten könne, sei, die 144 anzurufen. Selbst wenn man kein Blut sehen könne. „Telefonieren schafft jeder“, sagt sie. Über das Handy könnten Profis Tipps für Erste-Hilfe-Maßnahmen geben und Helfer durch die Situation begleiten. Immerhin sei man gesetzlich verpflichtet, zu helfen. Moralisch sowieso.
Letzter Punkt der Auffrischung ist die Benutzung des Defibrillators. Kalfa bringt die Elektroden an der Übungspuppe an und startet das Gerät. „Gut, das einmal in echt gesehen zu haben“, geben die Teilnehmer zu. Wo sonst hätte man die Chance dazu. Mit Ende des Kurses sind sich alle einig: Im Ernstfall trauen sie sich zu, einzugreifen. Das schlechte Gewissen darf ruhen. Bis zur nächsten Auffrischung, die alle paar Jahre erfolgen sollte.
„Jeder kann helfen, auch wenn er kein Blut sehen kann. Dann ruft er 144.“