Nur mit einem richtig gespannten Bogen trifft man das Ziel
Die US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin ist momentan das Maß aller Dinge, und wenn man etwas über den Skisport schreibt, kommt man nicht drum herum, etwas über Mikaela zu schreiben.
Eine Frage, die die Konkurrentinnen von Mikaela Shiffrin wahrscheinlich schon nervt, die aber natürlich immer wieder gestellt wird: die Frage nach dem Warum. Warum ist diese Dame so viel schneller und konstanter als der Rest der Welt? Kann man ihre Technik nicht einfach kopieren?
Ihre Fahrten werden sicherlich von den anderen Läuferinnen analysiert. So habe ich es damals bei Janica Kostelić oder Anja Pärson gemacht und auch Mikaela hat sich die Läufe meiner Blütezeit angeschaut und gewisse Elemente, die sie damals weitergebracht haben, herausgepickt. Wirklich kopierbar, denke ich, ist niemand. Es muss jeder die für seine Konstitution, sein Material und sein Können passende Fahrweise finden. Mikaela hat natürlich großes Talent und ihre Eltern haben von Kindesbeinen an vieles richtig gemacht.
Das Material, das sie unter ihren Beinen hat, stimmt. Ich kann mich kaum an ein Rennen erinnern, bei dem die Abstimmung nicht optimal funktioniert hätte. Körperlich ist sie topfit. Sie kann eine Linie fahren, die viele andere nicht in der Lage sind zu fahren, weil sie dem Druck und der Fliehkraft, die dadurch entstehen, nicht standhalten können. So schafft sie es oft, einfach den kürzesten Weg um das Tor zu fahren und somit auch die Ski wieder früher freizugeben und laufen zu lassen. Ihre Position am Ski sitzt bombenfest und es scheint, als könnte sie nichts aus der Bahn werfen. Wenn ihr einmal ein Fehler passiert, erholt sie sich meistens sehr schnell und schafft es innerhalb weniger Tore, wieder vollen Speed aufzunehmen.
Im Weltcup gibt es momentan durchaus ein paar Läuferinnen, die mit Mikaela mithalten könnten. Die wissen jedoch, dass, wenn sie die große Gejagte schlagen wollen, alles, absolut alles passen muss und Mikaela vielleicht der eine oder andere Fehler passieren muss. Sie müssen voll auf Angriff fahren, mit aller Kraft schnell sein und dabei geht leider oft die nötige Lockerheit und das Gefühl verloren. Spannung ist gut und braucht man auch, aber wenn man den Bogen überspannt, geht der Schuss oft nach hinten los.
Ich habe in meiner aktiven Zeit in der Vorbereitung auf besonders „wichtige“Rennen mit verschiedenen Spannungszuständen vor dem Start gespielt. Die Erkenntnis daraus war, dass ich nur richtig schnell war, wenn ich mit der richtigen Dosierung – ohne das Gefühl, besonders schnell fahren zu wollen bzw. zu müssen – in den Lauf gegangen bin. Eine Sekunde Zeitunterschied zwischen dem Gefühl, schnell fahren zu müssen, und jenem, einfach nur Spaß am Fahren zu haben und durch die Tore zu fliegen, war locker drinnen. Das erklärt vielleicht auch, neben dem natürlich großen Können und körperlicher Fitness, warum die Zeitunterschiede momentan vor allem in den ersten Durchgängen im Slalom oft so eklatant sind. Mikaela weiß um ihre Stärken und hat schon einiges auf ihrem Konto. Das und die Erkenntnisse aus vielen guten Rennen machen es für sie leichter, den richtigen Spannungszustand zu finden. Wenn sie so weitermacht und von großen Verletzungen verschont bleibt, werden wir sicher noch einige dieser „Wunderläufe“sehen. Ich sehe durchaus Potenzial bei einigen anderen Läuferinnen und hoffe, dass diese sich weiter an ihre Leistungsgrenze herantasten können und dadurch die Rennen weiterhin interessant bleiben. Meine Schwester Bernadette konnte beim letzten Rennen in Kranjska Gora im zweiten Durchgang Laufbestzeit erzielen. Das Ziel muss sein, dieses Gefühl abzuspeichern und beim heutigen Nachtslalom in Flachau gleich wieder zu zeigen!