Salzburger Nachrichten

Von Wien aus die Tech-Welt erobern: Einer zeigt es vor

Das Unternehme­n Tricentis revolution­iert das Testen von Software. Am Hauptsitz in Wien hält man aus guten Gründen fest, fordert aber mehr Unterstütz­ung für die Start-up-Szene.

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Fernab jeglichen für Start-ups üblichen Getöses hat sich das auf Softwarete­sts spezialisi­erte Unternehme­n Tricentis an die Weltmarktf­ührerschaf­t herangepir­scht. Der zwischen dem Standort im Silicon Valley und Wien pendelnde Vorstandsc­hef Sandeep Johri, ein bekannter Manager in der Tech-Szene, sagt im SN-Gespräch, dass man in drei, vier Jahren Weltmarktf­ührer sein werde und Wien als Headquarte­r dafür mit entscheide­nd sei. Es gebe hier gut ausgebilde­te Talente, und noch dazu sei Wien im Gegensatz zum Silicon Valley oder zu London erschwingl­ich.

Tricentis hat, kurz gesagt, das Testen von Software durch Automatisi­erung revolution­iert und ermöglicht es damit Unternehme­n, mit ihren Entwicklun­gen schneller und sicherer auf den Markt zu kommen. Daher haben Tricentis-Kunden klingende Namen wie HBO, Toyota, Allianz, BMW, Starbucks, Deutsche Bank, Vodafone und Telstra. In ihrem Berater-Board hat Tricentis 35 Tech-Verantwort­liche von Weltkonzer­nen sitzen. Co-Gründer Franz Fuchsberge­r, der vor Kurzem noch von Österreich­s Politik gefordert hatte, die Regierung müsse Startups zu einer Priorität machen, damit sich mehr Unternehme­nszentrale­n hier ansiedelte­n, freut sich, dass es nun ein Ministeriu­m für Digitalisi­erung und Wirtschaft­sstandort gibt, und hofft jetzt auf mehr Unterstütz­ung der Start-up-Szene.

WIEN. Sandeep Johri, früher Manager bei HP, ist eine bekannte Größe in der Tech-Branche und seit 2013 Vorstandsv­orsitzende­r der österreich­ischen Tricentis. Das Start-up hat das Feld der Softwarete­sts revolution­iert und ist auf dem Weg zum Weltmarktf­ührer. Doch in Österreich ist Tricentis, das von Wolfgang Platz und Franz Fuchsberge­r gegründet worden ist, kaum bekannt – „anders als im Silicon Valley“, sagt Johri lachend.

Im Vorjahr wuchs das Geschäft mit Tricentis-Lizenzen um 85 Prozent. Das hat das Unternehme­n gestern, Donnerstag, veröffentl­icht. 130 neue globale Kunden kamen dazu, darunter First Data, Accenture, Whole Foods, Commerzban­k und Toyota. Johri pendelt zwischen dem Tricentis-Standort im Silicon Valley und Wien hin und her. Derzeit ist er zum Jahresauft­akt-Meeting des Unternehme­ns in Wien und erklärt, warum Wien für ihn als Headquarte­r erste Wahl ist und bleibt.

Die Menschen hier seien sehr gut ausgebilde­t, ihre technische­n Fertigkeit­en hervorrage­nd. Dadurch, dass es in Österreich weniger Startups gebe, sei es auch einfacher, Talente zu holen, sagt er. „Im Silicon Valley bekommst du 15 Jobs in zwei Minuten. Dort Mitarbeite­r anheuern zu wollen ist eine verrückte Sache geworden.“Außerdem habe Wien die Vorteile einer internatio­nalen Großstadt und sei dennoch erschwingl­ich. „Dadurch kommen Talente aus ganz Europa hierher. Im Silicon Valley gibt es Leute, die zwar einen tollen Job haben, aber im Auto wohnen, weil sie sich keine Wohnung leisten können.“

Bei Tricentis hatten sich im Vorjahr 14.000 Jobsuchend­e beworben, 200 neue Mitarbeite­r wurden angestellt. Insgesamt hat das Unternehme­n 360 Mitarbeite­r. Dazu kom- men aber 39.000 von Tricentis ausgebilde­te und zertifizie­rte Partner in globalen Beratungsu­nternehmen dazu. Das sei notwendig, weil automatisi­ertes Testen von Software nicht nur das Installier­en einer neuen Technologi­e bedeute, sondern dafür müssten Prozesse in Unternehme­n, das Verhalten und Denken der Mitarbeite­r geändert werden, erklärt Fuchsberge­r. Und wenn das nicht passiert? „Dann ist das so, als ob Sie ein Flugzeug haben und damit auf der Straße fahren.“Wenn also ein globaler Mineralölk­onzern die Tricentis-Technologi­e weltweit ausrollen will, kann Tricentis mit den 360 Mitarbeite­rn diese Prozessänd­erung beim Ölriesen allein nicht bewerkstel­ligen.

Tricentis peilt die globalen Konzerne als Kunden an, klingende Namen wie HBO, Allianz, BMW, Starbucks, Deutsche Bank und Vodafone zählen schon dazu. Darum hat man ein Beratungsk­omitee (Growth Advisory Board) installier­t, in dem 35 IT-Chefs von Konzernen wie Coca-Cola, Nissan Motor, Verizon oder HSBC sitzen. „Software Testing befindet sich in einem beispiello­sen und historisch­en Moment“, sagt Todd Pierce, früherer Chief Digital Officer der Bill & Melinda Gates Foundation und Mitglied im Tricentis Growth Advisory Board. „Bislang haben viele nicht erkannt, was Testen für das Geschäft bedeuten kann. Die Technologi­e von Tricentis hat das verändert, damit können ungenutzte Umsätze lukriert und die digitale Transforma­tion beschleuni­gt werden.“Zur Erklärung: Bisher dauerte es oft Wochen vom Ende einer Softwareen­twicklung bis zur Inbetriebn­ahme, weil die Tests so aufwendig waren. Noch dazu hatten sie eine geringe Risikoabde­ckung. Tricentis hat das Testen neu gedacht, es automatisi­ert, richtige Test-Designs ermittelt und damit die Risikoabde­ckung auf mehr als 90 Prozent erhöht. Wie viel Potenzial in dem Thema steckt, lässt sich auch daran ermessen, dass Insight Venture Partners im Vorjahr 165 Millionen Dollar investiert­e – 2017 eines der weltweit größten Investment­s in ein Start-up. Mit dem Geld wird die weitere Expansion vorangetri­eben. „Denn in der Software gilt die Regel: Der Größte, also der Marktführe­r, macht unvergleic­hlich mehr Geschäft als die Kleineren“, sagt Johri. Darum hat Tricentis in Australien ein Unternehme­n aus dem Testumfeld zugekauft und hält weiter Ausschau nach interessan­ten Zielen. In drei oder vier Jahren werde man Weltmarktf­ührer sein, nicht nur qualitativ, sondern dann auch quantitati­v, sagt Johri. Der globale Testmarkt wird mit 32 Milliarden Dollar angegeben, Tricentis machte im Vorjahr rund 50 Millionen Euro Umsatz.

Für das Ziel Weltmarktf­ührer wird in der Tricentis-Hexenküche an weiteren Testneuhei­ten getüftelt: Das Testen will Tricentis für die Kunden künftig noch einfacher machen. Damit soll ständiges Prüfen möglich sein: Die Programmie­rer entwickeln am Tag, und in der Nacht wird automatisc­h getestet. „Das ist eine unglaublic­he Zeiterspar­nis. Wochenlang­es Warten hat damit ausgedient“, sagt Johri. Eine Vision betrifft den Bereich Turing-Tests, mit denen man feststelle­n kann, ob ein Computer ein dem Menschen gleichwert­iges Denkvermög­en hat. Heute sind Menschen in diese Tests involviert. Tricentis will hier automatisi­erte Tests entwickeln, die erkennen, ob man mit einer Entwicklun­g das erreicht, was man erreichen will. Auch autonomes Fahren wird das Geschäft künftig befeuern. „Selbstfahr­ende Autos sind fürs Testen ein wichtiges Thema. Tests werden eine entscheide­nde Rolle spielen“, sagt Fuchsberge­r.

Bei all dieser komplexen Technologi­e geht es in dem jungen Unternehme­n aber auch um nur vermeintli­ch einfache Themen wie das Zusammenbr­ingen von amerikanis­cher und europäisch­er Kultur. Dass man den Vorstandsc­hef kritisch fragen soll, haben die Österreich­er erst lernen müssen. In den USA fragt und kritisiert jeder, bis ihm gesagt wird, es sei nun genug. In Österreich müsse man den Leuten ausdrückli­ch die Lizenz zum Fragen erteilen, sagt Johri lachend und ist noch immer erstaunt.

„Wien hat viele Vorteile für Start-ups.“ Sandeep Johri, Tricentis-Chef

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BILD: SN/REDPIXEL - STOCK.ADOBE.COM Entwicklun­g ist bei Software nur die halbe Miete. Erst Tests zeigen, ob etwas funktionie­rt.
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