Gesucht ist ein neuer Umgang mit Einwanderern
Im vergangenen Jahr sind deutlich weniger Flüchtlinge und Migranten in Europa angekommen. Die Mittelmeerstaaten bleiben aber alarmiert.
Italien hatte unter den EU-Ländern im vergangenen Jahr die meisten Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten zu verzeichnen: 119.310 waren es laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 2017; im Jahr zuvor waren 181.436 Menschen über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien geflüchtet. Ein Aufatmen ist angesichts dieses Rückgangs kaum zu hören – nicht zuletzt angesichts der Schiffsunglücke der vergangenen Tage: Mindestens 66 Menschen sind am Wochenende im Mittelmeer bei der Überfahrt von Libyen nach Italien ertrunken, nach einem Bootsunglück am Mittwoch werden 100 weitere vermisst.
Kein Wunder also, dass die südlichen EU-Länder bei einem zweitägigen Gipfeltreffen in Rom am Mittwoch und Donnerstag klare Worte nach Brüssel und wohl vor allem Richtung Osteuropa geschickt haben. Sie fordern ein „neues und faires“gemeinsames europäisches Asylsystem. Insgesamt fühlten sich Zypern, Frankreich, Griechenland, Italien, Malta, Spanien und Portugal einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik „zutiefst verbunden“, heißt es im Abschlusspapier des Gipfels von Rom. Mit dieser gemeinsamen Politik sollen „irreguläre Ströme vermieden“und die Ursachen der „Massenmigration“adressiert werden.
Es sind Formulierungen, die UNO-Generalsekretär Antonio Guterres wohl nicht sehr gefallen werden. In einem gestern, Donnerstag, veröffentlichten Bericht zu den Chancen, die Migration bieten kann, plädiert er dafür, „entmenschlichende Sprache“zu vermeiden. Herabwürdigende Ausdrü- cke wie „illegale Immigranten“blockierten demnach vernünftige Diskussionen über Motive und Bedürfnisse der Individuen. Die Zahl der Migranten in einem Land oder auf einer Route mit dem Begriff „Strom“zu umschreiben, lasse Respekt vermissen. „Wir riskieren damit, Menschen zu reinen Datenpunkten zu reduzieren“, mahnt Guterres.
Migration sei mittlerweile „eine globale Realität“, betont der UNOGeneralsekretär. 258 Millionen Menschen fallen derzeit unter die Bezeichnung „Migrant“, die laut UNO-Definition Menschen meint, die sich längerfristig, also nicht nur zu touristischen Zwecken, in einem anderen Land als ihrem Geburtsland aufhalten.
Antonio Guterres, UNO-Generalsekretär
Guterres appelliert, diese Menschen als Chance und nicht als Risiko zu betrachten. Um das Potenzial der Einwanderung nutzen zu können, müssten die Länder aber eine aktive Migrationspolitik betreiben. Es braucht also legale Konzepte für die Einwanderung – die wiederum auf die nationale Arbeitsmarktpolitik abgestimmt werden müssen, wie Guterres betont. „Inklusive vorhersehbarer Zukunftstrends in der Demografie und dem Arbeitsbedarf.“
Ganz generell müssten Einwanderer respektieren, dass sie nur geordnet und legal zwischen Ländern wandern könnten; auf der anderen Seite „müssen Regierungen Routen für legale Migration öffnen“, fordert der UNO-Generalsekretär.
Der Eindruck, dass der Großteil der weltweiten Migration bisher über illegale Wege erfolgt, täuscht laut den Daten der Vereinten Nationen ohnehin. Das Gegenteil ist der Fall: Die meisten Menschen wandern auf ganz legale Weise in ein anderes Land ein, sei es zum Arbeiten oder zum Studieren.
Die meisten Migranten sind zudem innerhalb ihrer Heimatregion unterwegs. In Asien und Afrika beispielsweise bleiben rund 80 Prozent der Migranten in der Nähe ihres Heimatlandes.
Ein gängiges Vorurteil gegenüber Einwanderern ist zudem, dass sie kaum Arbeit fänden und nicht für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen könnten. In der Realität fänden aber so gut wie alle Migranten Arbeit, sagt Louise Arbour, UNO-Sonderbeauftragte für Internationale Migration. Wer keinen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt finde, komme in der Regel auf dem Schwarzmarkt zu einer Beschäftigung – meist dort, wo Einheimische die Jobs nicht annehmen wollten.
85 Prozent ihrer Einkünfte geben Migranten weltweit gesehen in dem Land aus, wo sie leben und arbeiten. 15 Prozent überweisen die Menschen in ihre Heimatländer – oft mit sehr hohen Transaktionskosten, wie Arbour erläutert. Für die Herkunftsländer sind diese Gelder eine wichtige Einnahmequelle, 2017 handelte es sich weltweit um insgesamt 600 Milliarden Dollar. Fielen diese Zahlungen weg, „hätte das sehr dramatische Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt der Herkunftsländer“, sagt die UNO-Sonderbeauftragte Louise Arbour. Immerhin machten die Überweisungen der Migranten 2017 das Dreifache der weltweiten Entwicklungshilfe aus.
„Migration ist eine globale Realität.“