Liebe in den Zeiten des kapitalistischen Aufbaus
In ihren „Liebesroman“verpackt Autorin Ivana Sajko nicht große Romantik, sondern scharfe Gesellschaftsbeobachtung.
WIEN. Sie ist Schauspielerin, eigentlich wenigstens. Auftritte hat sie nur ab und zu als komische Figur bei Filmpremieren im städtischen Kino. Dann darf sie als Affe, als Prinzessin oder als Star-Wars-Charge das jugendliche Publikum vom Popcornkauf ablenken.
Er ist, na ja, Schriftsteller und trinkt. Der „Liebesroman“, den er schreiben will, bringt es nicht einmal bis zum Plot. Geld haben sie keines, dafür aber ein kleines Kind, das jetzt mit zwei frustrierten Eltern aufwächst. Das Elend und die Arbeitslosigkeit schaffen viele Gelegenheiten, sich zu streiten, und beide lassen kaum eine davon aus. Aber das Paar bleibt zusammen, und so wird der „Liebesroman“seinem Titel am Ende doch gerecht.
Die Autorin Ivana Sajko ist vor allem als Dramatikerin bekannt. Ihr dritter Roman ist allerdings undramatisch. Äußere und innere Ereignisse fließen in einen gleichmäßigen Erzählstrom zusammen. In langen, oft sehr langen Sätzen geht es atemlos durchs enervierende Alltagsleben der beiden Protagonisten. Dabei erleben die beiden sogar manches Spektakuläre.
So werden wir Zeugen eines Mordes, ob eines versuchten oder eines vollendeten, wird nicht klar: Der Spießer aus der Nachbarschaft wird in einen Müllcontainer geworfen und die abschüssige Straße hinuntergeschubst. Aber weil auch Unerhörtes stets aus der Perspektive der beiden erzählt wird, alles Geschehen sich mit Reflexionen vermischt, entsteht nie situative Spannung.
Die Erzählweise verführt dazu, den „Liebesroman“zu rasch zu lesen; man fliegt durch die Sätze, von denen einzelne mehr als fünfzig Zeilen lang sind und kleine Erlebnisse, Beobachtungen, Gedanken aneinanderreihen. Aber man hakt sich immer wieder fest, weil die Erlebnisse so originell, die Beobachtungen so scharf, die Gedanken so klug sind. Frühling in Zagreb: „Obwohl man im grellen Licht die Flecken und den Staub deutlicher sah, waren die Heizkosten geringer, man konnte Benzin und die Ausgabe für öffentliche Verkehrsmittel sparen, man konnte ohne Mantel durch die Stadt spazieren und Bier auf einer Bank im Park trinken.“
Der Roman spielt in einem Land, in dem ständig neue Einkaufszentren mit Glitzerfassaden entstehen, wo aber ein großer Teil der potenziellen Kundschaft sich nur dafür interessiert, wo die Mülltonnen stehen, in denen man wühlen kann.
Er und sie, die namenlosen Protagonisten, gehören zur breiten Schicht der depravierten Intelligenz. Sie pflegt keine Freundschaften mehr, weil damit verbunden ist, einen Kaffee trinken zu gehen. „Es war ihr einfach zu teuer.“Und auch ihm erlaubt „seine sogenannte Bildung nicht, irgendetwas zu tun“.
Einmal nimmt der Mann an einer Demonstration gegen ein neues Parkhaus teil. Er schiebt sich gegen einen Bauzaun. Von der anderen Seite schiebt sich ein alter Wachmann dagegen, der sich so seinen kargen Lohn verdient. „Diebe!“hat der studierte Protestierer auf ein Pappschild geschrieben – eine beliebte Parole in der Region, wenn auch für den Wachmann unpassend. Der junge Vater wird festgenommen. Die Bullen sind nett. Nicht als Held kommt er von der Kundgebung zurück, sondern als Idiot. „Am meisten bespucken dich diejenigen, für die du kämpfst.“Am Ende erinnert ihn der Klassenkampf an der Baugrube an den Krieg der Neunzigerjahre. Auch da wurden allen – ob sie es wollten oder nicht – Rollen, Identitäten zugeschrieben. „Wie Stiere“wurden alle „durch Symbole gebrandmarkt, sodass sie beim Aufeinanderschießen auf die Brandzeichen und nicht auf die Köpfe zielten“.
Sajko gelingt es in dem – auch meisterlich übersetzten – Roman, das Elend der Gesellschaft aus zwei Menschen heraus zu erzählen. Man kann lesen, wie sich Aggressionen aufbauen, Gefühle entstehen, sich mit Gedanken vermischen, falsch werden und absterben. Liebe ist „Gott sei Dank kostenlos“, so dürfen er und sie am Ende wie Thelma und Louise in den Himmel fliegen.
Es ist vielleicht nicht der romantischste Liebesroman, aber einer der wenigen wahrhaftigen.