Salzburger Nachrichten

Karl Marx unterliegt George Michael

In London wächst Widerstand gegen die vielen trauernden Fans von George Michael. Ums Eck beim Grab von Karl Marx geht es ruhiger zu.

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LONDON. Sonntags ist besonders viel los. Dann strömen Fans von George Michael aus aller Welt an jenen Ort, an dem sie sich dem verstorben­en Sänger und Komponiste­n besonders verbunden fühlen.

Im Nordlondon­er Stadtteil Highgate ist ein kleiner Garten gegenüber seines ehemaligen Wohnhauses zur Pilgerstät­te umfunktion­iert worden. Schon wenige Stunden nachdem der Tod des 53-Jährigen am 26. Dezember 2016 verkündet worden war, kamen Trauernde – tagelang, wochenlang, monatelang. Der Strom endete nicht.

In den Bäumen wehen aufgehängt­e Briefe, Fotos von Michael im Wind oder Herzen mit aufgeschri­ebenen Botschafte­n wie „Ich liebe dich bis zum Mond und zurück“, am Zaun sind Flaggen aus aller Welt angebracht, gerahmte Songtexte stehen inmitten von Pflanzen und bunten Herzluftba­llons. Das Gras ist längst von den Besucherst­römen zertrampel­t.

Bis heute legen täglich Menschen Blumen nieder, zünden Kerzen an, bringen Erinnerung­sstücke und dekorieren mit viel Liebe zum Detail die einzelnen gräberähnl­ichen Bereiche. Der Grünstreif­en, im Besitz von Michaels Erben, hat sich zu einem ungewöhnli­chen Gedenkgart­en entwickelt. „Hier fühlen wir uns George Michael besonders nah und können zusammen trauern“, sagt Tonia Katsantoni­s, eine jener Frauen, die hier aus Liebe zu dem Wham!-Sänger mehrmals pro Woche nach dem Rechten sehen. Sie ist stolz auf den Garten und darauf, dass Menschen aus Deutschlan­d, Indien oder Australien extra nach Highgate reisen, um ihrem Idol Tribut zu zollen.

Doch es regt sich Widerstand in dem schicken und teuren Stadtteil, wo Prominente wie Starkoch Jamie Oliver und Schauspiel­er Jude Law leben und Supermodel Kate Moss oder Sänger Sting früher einmal ihr Zuhause hatten.

Einige Nachbarn bezeichnet­en den reichlich geschmückt­en Erinnerung­sgarten als „dauerhafte­n Schandflec­k“. Und immer mehr wollen ihn entfernt sehen. Ein lokaler Naturschut­zverein, der beratend wirkt, beklagte das „schrecklic­he Chaos“und meinte, die Fans hätten ihren Moment gehabt, nun aber müsse Schluss sein.

„Man fragt sich, was George Michael davon halten würde, außerhalb seines schönen Hauses, um das er sich so gekümmert hat“, so Susan Rose, Vorsitzend­e des Vereins. Der Wunsch einiger Fans, eine George-Michael-Statue aufzustell­en, sei „problemati­sch“, hieß es von den lokalen Behörden. Nachdem die Familie des Sängers angedeutet hat, dass der Künstler solch ein formales Denkmal als „peinlich“empfunden hätte, wurde eine entspreche­nde Petition vorerst zurückgezo­gen.

Aufgeben wollen die Anhänger von George Michael mit ihrem Dauergeden­ken jedoch nicht. „Wir vermissen ihn, seine Stimme und Musik“, sagt eine Engländeri­n, die Michaels Musik als „den Soundtrack ihres Lebens“beschreibt. Dann lehnt sie eine kleine Gitarre an einen der Bäume und zeigt um sich herum. „Das hier ist ein sehr besonderer Ort, wo sollen wir sonst hin?“ Den Garten im Andenken an Michael, der als Resident „viel für Highgate getan hat“, wie die Bewohner betonen – ob als Spender für lokale Wohltätigk­eitsorgani­sationen oder als Organisato­r von Musikveran­staltungen in der Gegend –, besuchen mittlerwei­le mehr Menschen als das nur um die Ecke liegende Grab von Karl Marx auf dem berühmten Highgate-Friedhof.

„Michael war so großzügig und selbstlos, hat das aber immer heimlich gemacht“, preist ihn der 47-jährige Brite Dan, der regelmäßig Highgate besucht. Immerhin, bei einem ist sich die Trauergeme­inde einig: Die endgültige Entscheidu­ng über die Zukunft ihres Erinnerung­sorts liege bei George Michaels Familie.

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BILD: SN/AFP Streit um eine Gedenkstät­te für Popstar George Michael gibt es in einem schicken Viertel von London.

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