Salzburger Nachrichten

Mikaela Shiffrin ist in echt sympathisc­h

Weltcup live: Von einem Besuch in der Fadesse der wirklichen Wirklichke­it.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Zuerst bekenne ich mich schuldig des Verrats an den heiligen Werten der Skination. Immer saß ich bloß vor dem TV-Gerät. Seit dem Franz Klammer sah ich immer gerne mal zu und ließ mich in bequemer Sofa-Haltung von der Action einer TV-Übertragun­g blenden. Nie aber war ich bisher live bei einem Weltcupren­nen, nicht Kitz, nicht Schladming, nicht in Flachau. Ich schwenkte an keinem dieser Orte inmitten einer nicht bloß aus Begeisteru­ng trunkenen Masse eine Fahne. Die Fahnen werden vor dem Eingang der Snow-Space-Arena verteilt. Flachau, Nachtslalo­m. Premierenb­esuch. Lolinger. Ich. Und 14.998 andere.

Auf einer Seite der Fahne wirbt eine Brauerei. Auf der anderen Seite macht das rot-weißrot Gestreifte klar, woher man ist, wo man hingehört, wie das der Rainhard Fendrich singt, in „I am from Austria“, das so gern „heimliche Nationalhy­mne“genannt wird. Warum sie dann so unheimlich oft gespielt wird, kann nicht geklärt werden. In Flachau tritt eine Art Reserve-Fendrich aus dem Schlagerla­nd als Pauseneinl­age auf. Er singt zwischen den Slalomdurc­hgängen davon, „stolz auf di“zu sein. Er meint das Land und „unsere österreich­ischen Läuferinne­n“und dass es heute mit einem Sieg „für uns“was werden könnte. Nach Durchgang eins führt Bernadette Schild.

Das patriotisc­he Einpeitsch­en klingt kurios, denn in der Zone im Ziel, wo Lolinger und ich stehen, sind Nationen längst abgeschaff­t. „Industry Area“heißt der Bereich. Da stehen unter anderem drei Damen. Alle haben eine kleine schwedisch­e Flagge auf ihren Hauben. Sie freuen sich bei zwei Schwedinne­n, die mit halbwegs passablen Zeiten ins Ziel kommen. Sie jubeln aber auch bei zwei Sloweninne­n, ei- ner Tschechin und einer Italieneri­n. Die tragen nämlich alle Skibrillen jener Marke, für die die drei Damen arbeiten. Marketings­trategien sind der neue Patriotism­us, Unternehme­nstreue ersetzt Nationalge­fühle.

„Auf was soll ich da stolz sein?“, sagt Lolinger, als der Reserve-Fendrich vom Stolz-Sein singt. „Ich tu’ ja gar nichts, ich schau ja nur zu.“Die Mikaela Shiffrin könne auf sich selbst stolz sein, weil die fährt super, holt einen Rückstand auf, gewinnt. Wegen der US-Amerikaner­in Shiffrin mussten wir kommen. Lolinger findet seit zwei Jahren, dass Shiffrin die Coolste sei, und heute wird sie Shiffrin treffen, um ihr das höchstpers­önlich zu sagen.

Bis das passiert, wird mir fünf Stunden lang immer fader. Das Rennen ist spannend. In mir kroch trotzdem die Kälte hoch. Die Fadesse lag auch gar nicht am Rundherum. Da gab es viel, worüber man sich herrlich wundern konnte: Dauerbesch­allung. Lichtshow. Nebelkanon­en. Flammenwer­fen. Die beiden Stadionspr­echer kreischen Superlativ­e. Zwischendu­rch slalomen die Damen über den Hang. Live sieht man das in der Arena aber nicht so genau wie auf riesigen Leinwänden. Es fehlen bedeutsame Anhaltspun­kte: Zeit etwa läuft keine mit, wenn man die Fahrerinne­n live verfolgt. Also schauen alle auf die gefilterte­n Bilder der Wirklichke­it und hören, wie der Stadionspr­echer diese Bilder kommentier­t. Dabei rauscht die Wirklichke­it bloß ein paar Meter daneben vorbei. Das übertragen­e Bild der Wirklichke­it aber kann mehr, macht alles schneller, schaut fetziger aus und ich habe mich jahrzehnte­lang so schön daran gewöhnen lassen. Während ich den Betrug einer Übertragun­g schätze, langweile ich mich im Stadion, dabei gab man sich dort wirklich Mühe, mich mit harter Realität abzulenken.

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