Alles andere als leere Maschen
Gestricktes? Ist dieser Trend nicht schon wieder längst von gestern? Ganz und gar nicht! Mit neuen Ideen und Produkten hat sich die Strickware einen Stammplatz zurückerobert.
SALZBURG. Mit dem Stricken ist es wie mit dem Yoga. Plötzlich taten es alle. Begabte wie Unbegabte, Trendsetter und solche, die ihnen blind folgten. Der große Hype ist zwar vorbei, doch der hat nachhaltig gewirkt. So haben beim Yoga auch Männer erkannt, dass es ihnen guttut. Und die Strickwelt ist – statt altbacken, wie sie einst war – um einige Innovationen reicher und für Aktive einfacher geworden.
Wer sich an die eigene Maschenfertigung macht, braucht dank moderner Medien keine langweiligen Anleitungen mehr zu lesen. Auf der „We are Knitters“-Homepage sind nicht nur die vorgeschlagenen Modelle modisch. Jeder Arbeitsschritt wird in einem kleinen Video erklärt: Ob Maschen anschlagen oder abketten und selbst, wie man das Ende des Fadens verwebt. Mit „Backloop Rib“, „Brombeermuster“oder „Fischgrätmuster“kommen auch Fortgeschrittene auf ihre Kosten. Sieht alles fesch und lustig aus, doch ist es das Stricken selbst auch? Die Erinnerung daran ist verblasst.
Also fällt nach jahrzehntelanger Strickabstinenz die Wahl zum Wiedereinstieg auf einen einfachen Schal. Online bestellt, kommen die exakt auf das Produkt abgestimmten Zutaten (Anleitung, Wolle, Stricknadeln) per Post ins Haus. Beigepackt ist ein kleiner Sticker zum Aufnähen mit der Aufschrift „Proudly knitted by myself“.
Billig aber ist Stricken zu Hause nicht mehr. Anders als früher, als man damit Geld sparte oder sich einen Pulli strickte, den es so nirgendwo gab, setzt man heute bei der Homemade-Ware auf Qualität. Statt quietschender Metallnadeln kommen nun leichte Holznadeln zum Einsatz, und als Material für den Schal dient „100% Peruvian Highland Wool“. Macht in Summe 85 Euro, ohne die erste Masche angeschlagen zu haben. Wie das geht, ist zwar noch nicht vergessen, doch die Lockerheit im Handgelenk ist noch nicht wieder da. Zu fest wird am Faden gezogen. Die ersten Reihen sind ein Herumbohren, um die Maschen von einer Nadel auf die andere zu heben. Und das soll über zwei Meter lang so weitergehen?
Irgendwann springt der Funke über, weicht die Anspannung sanfter Entspannung. Und mit jedem Zentimeter Strickware wächst die Neugier und Vorfreude. Wie viele Reihen schaffe ich heute? Eine oder zwei gehen sich vor dem Schlafengehen noch aus ... lieber noch eine.
Stricken ist zweifellos ein Handwerk für Ausdauernde. Einige Traditionsunternehmen in Österreich sind mit Strickware bis heute – oder wieder – erfolgreich. Steffner in Altenmarkt feiert sein 90-Jahr-Jubiläum. Auch bei Giesswein in Brixlegg produziert man seit den 1950er-Jahren. Zum Bestseller avancierten im Laufe der Jahre die gewalkten Hausschuhe und Hüttenpatschen. Rund 30 Millionen Paar wurden bisher weltweit verkauft, jährlich sind es rund eine Million Paar, die für zwei Drittel des Gesamtumsatzes des Tiroler Unternehmens sorgen. Pro Jahr werden bei Giesswein rund 200 Tonnen Wolle verarbeitet.
Man befinde sich „im Aufschwung“, sagt Social-Media- und Marketingchefin Romana Strasser. Auch, weil man weiter denkt. Seit knapp einem Jahr ist mit einem Turnschuh aus gewalkter Merinowolle ein neues Giesswein-Produkt auf dem Markt. „Das hat eingeschlagen“, sagt Strasser. Weil die Wolle antibakteriell und temperaturausgleichend wirke, könne der Schuh barfuß getragen werden, „und es kratzt nichts“. Zuschnitte und Stoffe stammen aus Brixlegg, 110 Mitarbeiter beschäftigt der Familienbetrieb in dritter Generation an seinem Stammsitz in Tirol. Die Endfertigung der „Runners“findet in Europa und Asien statt. „Anders ginge das im Schuhgeschäft nicht“, erklärt Strasser. Auch bei Kleidung sei Wolle wieder gefragt. Und mittlerweile würden 20 Prozent der Ware online verkauft.
Mit Strickware erfolgreich sind auch junge Unternehmen. Der Salzburger Christian Riegler hat seine Marke „Riggler“auf Hauben aufgebaut. Vor elf Jahren, als er startete, war das ein Kleidungsstück, nach dem kein Hahn mehr krähte. „Hauben haben gekratzt, und es gab nichts Attraktives“, sagt Riegler. Als begeisterter Sportler erkannte er früh, dass sich Sportbekleidung allmählich hin zur alltagstauglichen Lifestyle-Mode wandelte. Heute lagern bei Riggler permanent 20.000 bis 35.000 Teile, die auf Auslieferung warten – nach Frankreich bis nach Neuseeland.
Gefertigt wird bei Partnern in Bayern. „Made in the Alps“sei von Anfang an das Grundprinzip gewesen, betont Riegler. Freilich müsse man dabei mehr rechnen und nachdenken, als wenn man billig in Asien produzieren lasse, „aber es geht sich aus“. Zu den Trends sagt er: „Die klassische Skihaube im New-School-Style verkauft sich sehr gut.“Kein Trendsetter mehr ist man mit einer übergroßen „Beanie“. Dafür sind Stirnbänder weiter stark im Kommen, vor allem beim Freizeitsport und statt aus Strickmasche aus Funktionsgarn gefertigt. „Bei einer Skitour oder beim Laufen sind Stirnbänder ideal“, sagt Riegler. Die wärmende Haube setze man sich gern auf dem Gipfel auf.
Am Ziel angelangt, nach zwei Wochen – der Schal, der ist fertig. Alle vier Wollknäuel sind bis zum letzten Zentimeter verstrickt. Ein klein wenig Wehmut macht sich breit. Was jetzt? Sich gleich an Neues wagen? Vielleicht an den cremefarbigen Cardigan, Niveau mittel, wie mir die „Knitters“online empfehlen? Nein! Jetzt wird erst einmal das neue Prachtstück ausgeführt.