Wenn einer weiß, was gut für alle ist
Politischer Populismus hat sich in Europa etabliert. Doch woran ist zu erkennen, ob er nur ein Stil oder bereits eine Ideologie ist?
URSULA KASTLER Populismus ist ein Begriff, der seit einiger Zeit häufig in den politischen Nachrichten und Kommentaren zu lesen ist. Er taucht auf mit dem Blick in die USA, nach Ungarn, in die Türkei, er wurde in Frankreich gesichtet und bei heimischen Wahlen, mal ist er rechts, mal links verankert. Das lateinische Wort „populus“heißt auf Deutsch „Volk“. Der Duden erklärt den Begriff als opportunistische Politik, die „die Gunst der Massen zu gewinnen sucht“. In der Umgangssprache ist er ein Vorwurf, ein Schimpfwort und schwer fassbar. Angeblich wissen aber alle, was damit gemeint ist.
Reinhard Heinisch, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, erforscht das Phänomen des Populismus seit Langem und lässt am liebsten die nüchterne Wissenschaft sprechen. SN: Was ist also Populismus? Reinhard Heinisch: Im Wort Populismus stecken mindestens drei Begriffe: Populismus kann ein Stil sein, er kann eine Strategie sein und er ist eine Ideologie. In der Wissenschaft reden wir in der Regel von Populismus als Ideologie. Populismus ist nicht auf eine bestimmte Partei zu reduzieren. Alle Parteien können vom Stil und der Strategie her populistisch sein, doch nur populistische Parteien sind es auch von der Ideologie her. SN: Wie erkennt man Populismus? Damit eine Partei populistisch im ideologischen Sinn ist, finden sich in ihrem Programm und ihrer Rhetorik zwei Elemente: Erstens, ein homogener Volksbegriff im Sinne von: Es gibt ein Volk als eine Art historisch-kulturell einheitliche Gestalt mit einer Meinung, einem Willen. Es ist kein Platz für unterschiedliche Meinungen oder mehrfache Zugehörigkeiten. Der Populist weiß, was dieses Volk will.
Zweitens, diesem Volk werden Außengruppen gegenübergestellt. Je nach rechter oder linker Ausprägung sind dies etwa die EU, die Eliten, die Richter, die Journalisten, die Kapitalisten. All diese „Gruppen“, die „draußen“sind, sind austauschbar und je nach Situation einzusetzen. Diejenigen, die draußen sind, bedienen sich aus Eigennutz und verkaufen die Souveränität des guten Volkes. Ist der Populismus eine Ideologie, so sind solche Ansätze in Parteiprogrammen abzulesen. Populismus bedeutet außerdem natürlich, einfache Lösungen anzubieten. Erfolgreiche Populisten versprechen Veränderung.
Alle möglichen Parteien bedienen sich einer populistischen Rhetorik, um Wählerstimmen zu bekommen. Populistische Stilmittel sind nicht populistischen Parteien vorbehalten. Doch die Vertreter solcher Parteien wissen noch, dass es im Volk unterschiedliche Interessen und Meinungen gibt und in einer Demokratie diese ausgeglichen werden müssen. Die Gefahr ist also, dass man zwischen einem solchen Stil und der echten Ideologie nicht unterscheidet. Als Wissenschafter analysieren wir etwa Wahlprogramme und Parlamentsreden und schauen uns an, wie oft welche Begriffe vorkommen. Wenn man sich mit der Ideologie beschäftigt, ist es egal, ob man nach rechts oder links schaut.
Eine klassisch ideologisch populistische Partei wie die FPÖ in Österreich kann sich vergleichsweise flexibel auf die Nachfrage der Wähler einstellen, da für sie entscheidend ist, was bei Wählern im Augenblick populär ist. Populistische Parteien sind weniger an Dogmen und Grundsätze gebunden. Es gibt zudem Populisten wie den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der ein politisches Vakuum füllen kann, wenn sich Parteien wie die Demokraten um traditionelle Wählergruppen nicht mehr richtig kümmern. Dabei geht es um Identität. Die Arbeiter in Pennsylvania, die ihn gewählt haben, sahen sich in ihrer Identität und Ehre von den herrschenden Eliten in Washington verletzt. Die Arbeiter haben weniger ein Problem mit dem Reichtum erfolgreicher Unternehmer als mit den „Gescheiten“und Experten, die vermeintlich auf sie herabsehen, auf ihren Lebensstil und ihren Denkstil. SN: Wie unterscheidet man Extremismus von Populismus? Wenn eine Partei extremistisch ist, ist sie antidemokratisch und gewaltbereit. Das sind Populisten in der Regel nicht. Die AfD in Deutschland hat extremistische Elemente, aber als Partei ist sie populistisch. Für solche Parteien ist es wichtiger, Stimmen zu bekommen. Marine Le Pen hat in Frankreich mit dem Extremismus ihres Vaters und Parteigründers aufgeräumt, um breitere Wählerschichten ansprechen zu können. Wer moderater und flexibler ist, ist erfolgreicher. SN: Wie gefährlich ist Populismus? Die Gefahr ist nicht die Diktatur, sondern eine Ja-Nein-Demokratie, eine Politik, die minderheitenfeindlich ist, die einen Keil in die Bevölkerung treibt, die unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse gegeneinander ausspielt oder die Interessen bestimmter Gruppen als nicht zum „Volk gehörig“, für illegitim erklärt. Die Gefahr ist das verantwortungslose Reden und Handeln. Populismus ist gegen eine liberale Demokratie, in der es Gewaltenteilung gibt, Widerstand entstehen kann und in der es kritische Medien gibt, die sich trauen, auch Unpopuläres zu sagen. SN: Gibt es irgendetwas, das am Populismus positiv ist? In den USA ist der Begriff positiv besetzt. Das hat mit der Geschichte zu tun. Es gab im 19. Jahrhundert die Populisten, die sich der Anliegen der Bauern und Arbeiter angenommen haben, die beim Entstehen der Großkonzerne zunehmend unter die Räder kamen. Deshalb war Populismus in den USA eher links, gegen das Großkapital. Als Reaktion auf den Linkspopulismus sind dann Reformen entstanden wie der New Deal. Das war der Versuch, einen besseren Ausgleich herzustellen. Dazu gehörten Hilfen für die zahlreichen Arbeitslosen und Armen, die Änderung der Geldpolitik, die Regulierung der Finanzmärkte und die Einführung von Sozialversicherungen.
Auch in Lateinamerika hat Populismus einen weniger schlechten Ruf als bei uns. Dort traten charismatische Führungspersönlichkeiten als Heilsbringer auf, die vorgaben, das Volk in eine bessere Zukunft zu führen und das verkrustete politische System zu überwinden. SN: Was bereitet in Europa dem Populismus den Boden? Eine Legitimationskrise der politischen Systeme, ein Versagen der Parteien. Bürger haben das Gefühl, dass sie nicht mehr vertreten werden und ein Machtkartell entstanden ist mit den immer gleichen Leuten, die Positionen besetzen, egal wie die Wahlen ausgegangen sind. Das führt zu Frustration.
Zudem hat die Wirtschaftskrise die bestehenden oder vermeintlichen Verlustängste verstärkt. In Zeiten globaler Veränderung wünschen sich die Menschen Sicherheit und politische Gestaltung. Schafft dies die Politik nicht, verliert sie an Legitimität.
Reinhard Heinisch kehrte nach mehr als 20 Jahren akademischer Karriere in den USA 2009 als Leiter des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Salzburg wieder nach Österreich zurück. Hier setzt er sich mit Fragen der österreichischen Politik im europäischen Kontext, der vergleichenden Arbeitsmarktpolitik sowie der vergleichenden Populismusforschung auseinander. Er ist Consultant für diverse Organisationen und Regierungsstellen wie das US-Außenministerium. Kürzlich wurde er für seine Arbeit mit dem Wissenschaftspreis der MargarethaLupac-Stiftung ausgezeichnet. Die Stiftung für Parlamentarismus und Demokratie ist beim Nationalrat eingerichtet.