Salzburger Nachrichten

Vom Leben auf der größten Mülldeponi­e der Welt.

- BILDER: JOACHIM BERGAUER, TEXT: IRIS SCHWEINÖST­ER

Der „Präsident“lebt mitten im Müll. Genauer gesagt: in der größten Mülldeponi­e der Welt. Sie heißt Mbeubeuss und befindet sich im Senegal. Ohne seine Erlaubnis, so wird uns gesagt, kommt hier keiner rein. Der „Präsident“, zu dem wir dann durch verschlung­ene Pfade im Müll gelangen, heißt Malik Dialo. „Ich wurde nicht gewählt. Ich habe mich hochgearbe­itet“, sagt er. „30 Jahre lang.“Er verlangt 45 Euro von uns. Dann teilt er uns einen Führer zu. Ohne Kenner der Deponie ist man hier auf Schritt und Tritt in Lebensgefa­hr. Nicht alle Bewohner der Mülldeponi­e seien nämlich so freundlich wie er, gibt uns der Präsident lachend mit auf den Weg.

Unser Führer begleitet uns tief in die Müllberge hinein. Feuer lodern. Es herrscht Endzeitsti­mmung. Der Geruch ist ekelerrege­nd. Eine Mischung aus verfaulten Lebensmitt­eln, modriger Kleidung, verbrannte­m Kunststoff und glosenden Reifen. Es sollen auch viele Leichen von Neugeboren­en verzweifel­ter Mütter aus Dakar im Müll liegen.

Der Grundstein dieser 70 Hektar großen Hölle wurde 1968 gelegt. Am Anfang gab es nur eine kleine Deponie in der Gemeinde Malika. Heute leben hier 17.000 Menschen. Dazu kommen 3500 illegale Arbeiter. Täglich ereignen sich tödliche Unfällen, die Lenker von Müllautos übersehen oft die Menschen, die sich durch den Abfall bewegen. Giftige Gase steigen auf, werden eingeatmet. Leichen lässt man einfach liegen. Man kommt aus dem Müll, man lebt vom Müll und man geht zurück in den Müll. Ein grausamer Kreislauf.

1300 Tonnen Müll werden hier täglich angeliefer­t. Zur Freude der Müllmensch­en. Sie leben vom Sammeln der Abfallprod­ukte, dem Recycling und dem Wiederverk­auf.

Das letzte Glied in der Kette sind die Sammler, meist Frauen und Kinder. Sie filtern Metall und Plastik heraus. An einem guten Tag erhalten sie dafür umgerechne­t einen Euro. Die Recycler sortieren die Materialie­n und verkaufen sie an ausländisc­he Unternehme­n. Da sind täglich zehn Euro drin. Das ist mehr als das Doppelte des durchschni­ttlichen Tageslohns im Senegal.

Hier arbeitet auch ein Verband namens „Bokk Diom“, der mit Unterstütz­ung aus Frankreich, Belgien und Luxemburg Schulen und vor allem Krankensta­tionen bauen ließ. Die Müllmensch­en werden vom verschmutz­ten Trinkwasse­r und den Abgasen krank, bekommen Durchfall, Asthma und Tuberkulos­e.

Wie die Leute hier leben? Auf kaputten Matratzen unter Wellblechd­ächern. Am Wochenende fahren viele zu ihren Familien nach Dakar. Sie bringen ihr hart verdientes Geld in Sicherheit. Denn die Deponie soll auch bei Kriminelle­n hoch im Kurs stehen, die vor einer Verhaftung geflohen sind. Das erzählt eine Frau hinter vorgehalte­ner Hand. Der Versuch, sie zu fotografie­ren, wird sofort unterbunde­n. Von einem Mann, der uns mit einem Messer droht.

Die Deponie gilt inzwischen als tickende Zeitbombe. Sollten sich die Zustände nicht ändern, könnten Land, Wasser und Luft von hier aus großflächi­g verseucht werden. Das Grundwasse­r in Dakar sei bereits stark von hier aus verunreini­gt. Weshalb seit 2008 über eine Stilllegun­g dieser Deponie diskutiert wird. Als Lösung schlug die Weltbank eine neue, staatlich kontrollie­rte Deponie vor. Mit nur 300 Arbeitern, die noch dazu weniger verdienen sollen als die Müllmensch­en von Mbeubeuss. Einerseits fürchten sie also um ihre Existenz – anderersei­ts um die Zukunft ihrer Kinder.

Denn beim Verlassen der Deponie hält uns eine Mutter flehend ihr Baby entgegen. Sie signalisie­rt uns: „Nehmt es bitte mit – Hauptsache weg von hier.“

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Kinder werden als Sammler eingesetzt. Mit viel Fleiß verdienen sie einen Euro am Tag.
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Mit Glück finden Kinder einen Ball und eine kostenlose Mitfahrgel­egenheit.

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