Vom Leben auf der größten Mülldeponie der Welt.
Der „Präsident“lebt mitten im Müll. Genauer gesagt: in der größten Mülldeponie der Welt. Sie heißt Mbeubeuss und befindet sich im Senegal. Ohne seine Erlaubnis, so wird uns gesagt, kommt hier keiner rein. Der „Präsident“, zu dem wir dann durch verschlungene Pfade im Müll gelangen, heißt Malik Dialo. „Ich wurde nicht gewählt. Ich habe mich hochgearbeitet“, sagt er. „30 Jahre lang.“Er verlangt 45 Euro von uns. Dann teilt er uns einen Führer zu. Ohne Kenner der Deponie ist man hier auf Schritt und Tritt in Lebensgefahr. Nicht alle Bewohner der Mülldeponie seien nämlich so freundlich wie er, gibt uns der Präsident lachend mit auf den Weg.
Unser Führer begleitet uns tief in die Müllberge hinein. Feuer lodern. Es herrscht Endzeitstimmung. Der Geruch ist ekelerregend. Eine Mischung aus verfaulten Lebensmitteln, modriger Kleidung, verbranntem Kunststoff und glosenden Reifen. Es sollen auch viele Leichen von Neugeborenen verzweifelter Mütter aus Dakar im Müll liegen.
Der Grundstein dieser 70 Hektar großen Hölle wurde 1968 gelegt. Am Anfang gab es nur eine kleine Deponie in der Gemeinde Malika. Heute leben hier 17.000 Menschen. Dazu kommen 3500 illegale Arbeiter. Täglich ereignen sich tödliche Unfällen, die Lenker von Müllautos übersehen oft die Menschen, die sich durch den Abfall bewegen. Giftige Gase steigen auf, werden eingeatmet. Leichen lässt man einfach liegen. Man kommt aus dem Müll, man lebt vom Müll und man geht zurück in den Müll. Ein grausamer Kreislauf.
1300 Tonnen Müll werden hier täglich angeliefert. Zur Freude der Müllmenschen. Sie leben vom Sammeln der Abfallprodukte, dem Recycling und dem Wiederverkauf.
Das letzte Glied in der Kette sind die Sammler, meist Frauen und Kinder. Sie filtern Metall und Plastik heraus. An einem guten Tag erhalten sie dafür umgerechnet einen Euro. Die Recycler sortieren die Materialien und verkaufen sie an ausländische Unternehmen. Da sind täglich zehn Euro drin. Das ist mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Tageslohns im Senegal.
Hier arbeitet auch ein Verband namens „Bokk Diom“, der mit Unterstützung aus Frankreich, Belgien und Luxemburg Schulen und vor allem Krankenstationen bauen ließ. Die Müllmenschen werden vom verschmutzten Trinkwasser und den Abgasen krank, bekommen Durchfall, Asthma und Tuberkulose.
Wie die Leute hier leben? Auf kaputten Matratzen unter Wellblechdächern. Am Wochenende fahren viele zu ihren Familien nach Dakar. Sie bringen ihr hart verdientes Geld in Sicherheit. Denn die Deponie soll auch bei Kriminellen hoch im Kurs stehen, die vor einer Verhaftung geflohen sind. Das erzählt eine Frau hinter vorgehaltener Hand. Der Versuch, sie zu fotografieren, wird sofort unterbunden. Von einem Mann, der uns mit einem Messer droht.
Die Deponie gilt inzwischen als tickende Zeitbombe. Sollten sich die Zustände nicht ändern, könnten Land, Wasser und Luft von hier aus großflächig verseucht werden. Das Grundwasser in Dakar sei bereits stark von hier aus verunreinigt. Weshalb seit 2008 über eine Stilllegung dieser Deponie diskutiert wird. Als Lösung schlug die Weltbank eine neue, staatlich kontrollierte Deponie vor. Mit nur 300 Arbeitern, die noch dazu weniger verdienen sollen als die Müllmenschen von Mbeubeuss. Einerseits fürchten sie also um ihre Existenz – andererseits um die Zukunft ihrer Kinder.
Denn beim Verlassen der Deponie hält uns eine Mutter flehend ihr Baby entgegen. Sie signalisiert uns: „Nehmt es bitte mit – Hauptsache weg von hier.“