Salzburger Nachrichten

Die Schlepper weichen aus

Spanien wird zum neuen Ziel. Die Ankünfte von Migranten haben sich im vergangene­n Jahr drastisch erhöht – immer mehr Algerier und Marokkaner sind darunter.

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In Spanien hat sich die Zahl der Migranten stark erhöht. Darunter sind auch immer mehr Algerier und Marokkaner.

Lange Zeit meinte Spaniens Regierung, dass die große Flüchtling­swelle, die von Nordafrika in die südeuropäi­schen Staaten Italien und Griechenla­nd rollte, die spanische Küste niemals erreichen werde. Madrid sah sich als leuchtende­s Beispiel in Europa für eine erfolgreic­he Politik der Grenzabsch­ottung und Abschrecku­ng durch schnelle Abschiebun­g sowie Kooperatio­nsabkommen mit den Herkunftss­taaten.

Doch das Rezept scheint nicht mehr zu funktionie­ren, die Lage spitzt sich zu: Es kommen immer mehr Flüchtling­sschiffe auf der iberischen Halbinsel an. Währenddes­sen geht die Zahl der Ankünfte in Italien und Griechenla­nd deutlich zurück.

2017 hat sich die Zahl der Bootsmigra­nten, die über das Mittelmeer nach Spanien gelangten, nahezu verdreifac­ht. Und 2018 könnte sich der Trend fortsetzen.

Nach Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) landeten 2017 nahezu 22.000 Menschen in Spanien. Das ist die höchste Zahl von Bootsflüch­tlingen, die an der spanischen Festlandkü­ste jemals registrier­t wurde. 2016 waren es nur etwa 8000 Ankünfte.

Zwar langten im vergangene­n Jahr in Italien und Griechenla­nd immer noch mehr Bootsmigra­nten an als in Spanien. Aber in diesen beiden Ländern sanken die Zahlen erheblich: In Griechenla­nd von 174.000 im Jahr 2016 auf knapp 30.000 und in Italien von 181.000 auf 119.000.

Nun wächst die Sorge, dass der iberischen Halbinsel jenes Drama bevorstehe­n könnte, das die vergangene­n Jahre Griechenla­nd und Italien in Atem hielt. Denn angesichts der Hinderniss­e auf den bisherigen Hauptroute­n leiten die Schlepper den Migrantens­trom zunehmend Richtung Spanien um: Der östliche Mittelmeer­weg nach Griechenla­nd wurde durch ein EUAbkommen mit der Türkei erschwert. Auch die zentrale Mittelmeer­route nach Italien ist wegen der Kooperatio­n der Europäisch­en Union mit Libyen komplizier­ter geworden.

Deswegen legen nun immer mehr Boote in den libyschen Nachbarlän­dern Algerien und Marokko ab und nehmen Kurs auf die nächstgele­gene Küste – und das ist jene Spaniens. An der Meerenge von Gibraltar liegen zwischen der marokkanis­chen und der spanischen Küste nur 14 Kilometer. Weiter östlich, auf der Höhe der spanischen Küstenstäd­te Almería oder Alicante, befinden sich zwischen Nordafrika und Spanien 200 bis 300 Kilometer Wasser.

Marokko und Algerien gelten zwar als enge europäisch­e Verbündete. Der Westen rüstete sogar Armee, Grenzschut­z und Küstenwach­t dieser Länder auf. Doch in der algerische­n Volksrepub­lik von Regimechef Abdelaziz Bouteflika wie auch im marokkanis­chen Reich von König Mohammed grassieren Willkür und Korruption, was sich auch bei der Grenzsiche­rung bemerkbar macht, die ziemlich lückenhaft ist.

Noch ein Trendwechs­el zeichnet sich bei den Ankünften in Spanien ab: Marokko und Algerien sind nicht nur Transitlän­der, sondern werden zu den wichtigste­n Herkunftsl­ändern der Migration. Es kommen immer mehr junge Algerier und Marokkaner nach Europa.

Im Jahr 2017 stellten sie schon mehr als 40 Prozent der in Spanien ankommende­n Bootsmigra­nten. Das ist ein Indiz dafür, dass die Frustratio­n der jungen Generation in diesen Ländern wächst. Wirtschaft­liche Perspektiv­losigkeit und fehlende Freiheiten treiben die jungen Menschen nach Europa.

Die zweite große Flüchtling­sgruppe stammt aus den westafrika­nischen Armutsländ­ern südlich der Sahara: Elfenbeink­üste, Guinea, Gambia, Kamerun, Burkina Faso, Mauretanie­n und Mali. Dort in Westafrika, wo sich einige der ärmsten Staaten der Welt befinden, ist gleichfall­s keine Besserung in Sicht.

Auch immer mehr syrische Flüchtling­e, die früher vor allem über die benachbart­e Türkei und Griechenla­nd kamen, schlagen sich bis ins ferne Spanien durch. Sie machen knapp zehn Prozent der Ankünfte aus. Die Syrer müssen dazu ganz Nordafrika durchquere­n. Es handelt sich um einen mehr als 6000 Kilometer langen Landweg, der durch das Bürgerkrie­gsland Libyen führt, um von Marokko aus spanischen Boden zu erreichen.

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BILD: SN/AFP Juni 2017: In der Straße von Gibraltar gerettete Migranten wurden zum spanischen Festland gebracht.
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Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien

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