Indiens Höchstrichter rebellieren
Vorwürfe der Packelei treffen den Vorsitzenden.
Vier ranghöchste Richter am Obersten Gericht von Indien rufen zum Aufstand gegen ihren Chef. Bei der ersten Pressekonferenz in der Geschichte des Gerichtshofs warfen sie dem Vorsitzenden Dipak Misra vor, Fälle mit „weitreichenden Konsequenzen für die Nation“an sich zu ziehen. Richter Jasti Chelamswar warnte im Namen seiner Kollegen: „Wenn unsere Institution und ihre Balance nicht bewahrt bleiben, wird die Demokratie in unserem Land nicht überleben.“
Das ist ein schweres Geschütz in einem Land, in dem der Oberste Gerichtshof trotz unzähliger Probleme und massiver Korruption im landesweiten Justizapparat immer hohes Ansehen genoss. Die Vorwürfe wiegen umso schwerer, als sich der Protest der vier ranghöchsten Richter auf das Verhältnis ihres Chefs Dipak Misra mit Premierminister Narendra Modi bezieht. „Die beiden haben eine sehr enge persönliche Beziehung“, heißt es auf den Fluren des Gerichts.
„Der Chef des Obersten Gerichtshofs versucht, den Premierminister und seine regierende BJP zu schützen“, meinte der Menschenrechtsanwalt Ravi Nair im Gespräch mit den SN. Die vier Richter bemängeln, dass ihr Chef über die Geschäftsordnung versuche, Einfluss auf die Zuteilung der Verfahren zu nehmen. Misra dagegen erklärte: „Ich bin der Chef des Dienstplans.“
Anlass der Richterrevolte ist die Untersuchung des überraschenden Todes eines Kollegen im Dezember 2014. Er hatte bis zu seinem Tod Anschuldigungen gegen Amit Shah geprüft, den heutigen Vorsitzenden der regierenden BJP und rechte Willi Germund berichtet für die SN aus Indien Hand des hindunationalistischen Premiers Modi.
Shah soll als Innenminister im Bundesstaat Gujarat unter dem damaligen Ministerpräsidenten Modi Morde an rebellierenden Muslimen in Auftrag gegeben haben.
Vom Nachfolger des plötzlich verstorbenen Richters wurde Shah freigesprochen. Die Untersuchung der Umstände des Ablebens zog nun Chefrichter Misra an sich – und löste damit den öffentlichen Aufstand der Richter aus.
Weder die BJP noch ihr Vorsitzender Amit Shah nahmen bislang Stellung. Aus Narendra Modis Büro verlautete lediglich, er sei über das Geschehen informiert. Auch der kritisierte Gerichtshof-Vorsitzende äußerte sich nicht zum Protest seiner Kollegen.
Dabei wiegt der Protest schwer. Sollten die Vorwürfe stimmen, wäre nun auch der Oberste Gerichtshof, von liberalen Indern als eines der letzten Bollwerke gegen die totale Machtübernahme durch die Hindunationalisten betrachtet, der politischen Korruption anheimgefallen.
Regierungschef Modi hatte seine Vorstellungen von unabhängiger Justiz erst am indischen Verfassungstag im November vergangenen Jahres deutlich gemacht: „Um Indien zu stärken, müssen alle Institutionen zusammenarbeiten.“
Der Wunsch wird im Sommer möglicherweise erfüllt. Drei der vier rebellierenden Richter werden in den Ruhestand versetzt. Der vierte müsste laut Senioritätsprinzip des Obersten Gerichtshofs dann Nachfolger des umstrittenen Misra werden.
Aber Indiens Richter werden vom Präsidenten ernannt. Dieses Amt bekleidet Ram Nath Kovind, der von der BJP auf diesen Posten gehoben wurde.