Keine Chance, dass man sich zurücklehnt
Teodor Currentzis dirigiert die Camerata Salzburg und liefert ein „Special“-Konzert mit Stoff zum Nachdenken.
Als Teodor Currentzis im Herbst 2016 ein Abonnementkonzert der Camerata Salzburg dirigierte, mochte er noch als „Geheimtipp“gelten. Einen fulminanten Festspielsommer danach – mit Mozarts „La clemenza di Tito“im Zentrum – kam der griechische Dirigent, der in Perm mit seinen Ensembles von MusicAeterna neue und etwas andere Maßstäbe klassischer Musik setzt, am Freitag als gefeierter „Star“zurück.
Für ein „Special“hatte ihn die Camerata Salzburg gewonnen, zu der er nach der überzeugenden ersten Begegnung deutliche Zuneigung signalisierte. Der Saal war so gut wie ausverkauft. Bedenkt man zudem das von Currentzis gewählte und gewünschte Programm, mit Alfred Schnittkes Concerto grosso Nr. 1, der Petite Symphonie concertante von Frank Martin und, am ehesten noch im gängigen Repertoire verankert, den Kindertotenliedern von Mahler, also ohne Popularitäts- und Glamourfaktor, ist das ein erfreuliches Zeichen für die wache Präsenz neugieriger Konzertgänger.
Hat Currentzis die hohen Erwartungen erfüllt? Ja, dank der klugen Programmdramaturgie und in seiner bedingungslosen Hingabe an die Werke durchaus, die er mit bemerkenswert eigensinniger Klangregie ausstattete. Das von zwei Soloviolinen (Andrey Baranov, Gregory Ahss) in virtuos bissigem Wettstreit auf hitzigste Spitzen getriebene, von einem präparierten Klavier (Per Rundberg) und Cembalo (Florian Birsak) in barocke bis neoklassizistische Verfremdung gesteuerte Concerto grosso Schnittkes und die um Klavier, Cembalo und Harfe (Ulrike Mattanovich) gruppierte und von zwei Streichorchestern gestützte „Kleine konzertante Symphonie“von Frank Martin ergaben inhaltlich kongruent zwei Seiten einer Medaille: spielerisches Konzertieren, einmal in treibender Verdichtung, einmal in eleganter Klangsinnlichkeit. Orchestrale Kammermusik: Darauf versteht sich die Camerata ohnedies aufs Beste, und Currentzis kitzelte fein abgestimmte Reserven aus den mit gespannter Aufmerksamkeit, Spielwitz und glänzend flexibel agierenden Musikerinnen und Musikern.
Komplizierter liegt der Fall bei Mahler. Da verfolgte der Dirigent ein straffes Konzept linearer, in jedem Moment auf äußerste Transparenz bedachter Klanggestaltung. Jede einzelne Stimme erhielt streng durchgeformte Kontur, man konnte gleichsam ins Innere der Komposition schauen, und auch der schmiegsame, samtweiche, vielleicht etwas zu neutrale Mezzosopran von Ann Hallenberg wurde wie ein Instrument behandelt, quasi wie eine mitkomponierte Altflöte. Was dabei auf der Strecke blieb, war die emotionale Erschütterung, die den Texten Friedrich Rückerts über den Tod seiner beiden Kinder eingeschrieben ist. Sie muss beileibe nicht überbetont, also verdoppelt werden. Aber sie müsste doch stärker aus der Lyrik in Musik überfließen, nicht so ausgezirkelt konstruiert wirken, einfach ein freieres Atmen zulassen, als es Currentzis den fünf Liedern zugestand. So wirkte Mahler mit einem Mal seltsam distanziert, kühl, mehr durchdacht als gefühlt.
Nichtsdestoweniger ergab das aber im Ganzen (Nach-)Denkstoff und lieferte so ein Plädoyer gegen wohlgefällige Gleichgültigkeit. Ein Musiker wie Teodor Currentzis fordert heraus, und das Publikum hat das mit bemerkenswerter Konzentration angenommen.