„Ich habe mir alles hart erkämpft“
Sreco Dolanc ist das Vorbild einer stillen Minderheit: Er ist Österreichs erster gehörloser Apotheker. Doch der 33-Jährige befürchtet, dass er für längere Zeit der einzige bleiben wird.
Es ist ein ungewöhnliches, im wahrsten Sinne einzigartiges Bild. In der Marien-Apotheke in Wien-Mariahilf steht Sreco Dolanc hinter dem Verkaufspult, eingerahmt von Medikamenten und Heilmitteln, und berät seine Kunden. In Gebärdensprache. Er ist der erste und bisher einzige gehörlose Apotheker Österreichs. Sein Werdegang ist ebenso beeindruckend wie seine Persönlichkeit. Dass er seit viereinhalb Jahren Vollzeit als Pharmazeut tätig ist, hat Dolanc vor allem einem zu verdanken: sich selbst. „Ich habe mir alles hart erkämpfen müssen“, erzählt er über seine Kindheit und Jugend, über seine Zeit in der Schule und auf der Universität. Doch da waren auch noch andere, ohne die er wohl chancenlos gewesen wäre, in einer Welt der Hörenden.
Als Sreco Dolanc vor 33 Jahren in Laibach, der Hauptstadt Sloweniens, gehörlos geboren wurde, durfte er sich von Anfang an sicher und geborgen fühlen. Denn seine Eltern zählten ebenfalls zu dieser stillen, zurückgezogen lebenden Minderheit. „Meine Muttersprache ist die Gebärdensprache“, sagt er. Im Kindergarten für Gehörlose fiel der kleine Sreco den Betreuerinnen bald auf, als aufgeweckter, blitzgescheiter Bub. Sie meinten es gut, als sie Vater und Mutter Dolanc rieten, das Kind in einer „normalen“Schule, also in einer für Hörende, anzumelden. Und auch seine Eltern meinten es gut, als sie der Empfehlung nachkamen.
Sreco Dolanc, Apotheker
Denn sie hatten am eigenen Leib erfahren müssen, wie Gehörlose dazu verdammt waren, als soziale Randgruppe dahindümpeln zu müssen. Schulbildung gab es für sie nur im Mindestausmaß. Matura oder gar Studium waren nicht vorgesehen. Besonders finanziell schien das „Mitschleppen“von Gehörlosen zu aufwendig, benötigten sie doch permanent einen Dolmetscher, um dem Unterricht folgen zu können. Screcos Potenzial sollte nicht ungenützt bleiben, er sollte es einmal besser haben.
„Es war ein Schock, als ich in die Schule kam“, erinnert sich Dolanc. Vorbei war es mit liebevoller Förderung. „Man muss bedenken: Wenn jemand im Normaltempo spricht, liegt der Anteil, den wir von den Lippen lesen können, bei 30 Prozent.“Mit eisernem Willen kämpft sich der Teenager durchs Gymnasium, schließt mit Matura ab.
Dann das Einstiegsgespräch auf der Uni: „Als Erstes hat man mich gefragt, warum ich mir das antun will und ob ich mir das überhaupt zutraue.“Neuerlich versetzt sich Dolanc in den Kampfmodus. „Die Vorlesungen waren sinnlos, da habe ich kaum etwas mitbekommen.“Also lernte er den Stoff daheim. Allen Widerständen zum Trotz schloss er 2012 mit Diplom ab. Nur wollte den ers- ten gehörlosen Pharmazieabsolventen in Slowenien niemand. „100 Bewerbungen habe ich geschrieben – nur Absagen.“Er streckte seine Fühler ins benachbarte Ausland aus. Schweiz, Deutschland, Österreich. Lange Zeit: nichts. Dann stieß er 2013 in einem Zeitungsartikel auf den Namen Karin Simonitsch, die Chefin der Marien-Apotheke. Dolanc war fast am Ziel. „Ich habe ihm gesagt, dass er noch Deutsch lernen muss“, blickt Simonitsch zurück und lächelt. Sie erkannte nicht nur, was in ihrem neuen Mitarbeiter alles steckt, sie erkannte auch, welche Möglichkeiten sich für ihre Apotheke eröffnen. Was sie nämlich nicht wollte, war, sich von der Beschäftigungspflicht nach dem Behinderteneinstellungsgesetz „freizukaufen“, wie sie sagt. Im Gegenteil: Simonitsch wollte sich nach den Kundenbedürfnissen richten. Und bei bis zu 5000 Gehörlosen in Wien ist ein großes Bedürfnis nach jemandem wie Sreco Dolanc vorhanden. „Bis aus St. Pölten kommen die Leute zu uns.“Kosten für die Übersetzung fallen keine an. Das Honorar für die Dolmetscherin wird vom Sozialministeriumservice bezahlt.
Zwischen zwei Verkaufsgesprächen nimmt sich der 33-Jährige Zeit, um den Hörenden punkto Kommunikation mit Gehörlosen auf die Sprünge zu helfen: „Es braucht genügend Licht und natürlich Blickkontakt. Das Sprechtempo sollte reduziert werden – und Mimik ist wichtig. In südlichen Ländern, wie etwa Italien, tun wir uns leichter, weil dort mehr gestikuliert wird“, verrät Dolanc. Dadurch erkennt er zum Beispiel viel schneller als ein Hörender, ob und wo jemand Schmerzen hat. Seine Chefin pflichtet ihm bei: „Es passieren so viele Irrtümer! Gehörlose sind visuelle Menschen. Am Anfang hab ich ihn ein paar Mal von hinten angesprochen und mich gewundert, warum ich keine Antwort bekomme. Einfach antippen, das genügt.“Viele meinen auch, sie müssten lauter sprechen. „Das hilft mir aber überhaupt nichts“, sagt Dolanc lachend.
Die Reaktion seiner hörenden Kundschaft sei durchaus positiv: „Die meisten sind sehr geduldig und stellen sich schnell auf die Situation ein. Wegen der ein, zwei Minuten, die das Gespräch länger dauert, hatte noch niemand Probleme.“
Sreco Dolanc hat sich seinen Traum erfüllt, ist Pharmazeut geworden. Und dank Karin Simonitsch ist er nun Apotheker, ein ganz besonderer: „Ich weiß, dass ich ein Vorbild für Gehörlose bin. Deshalb wünsche ich mir, dass es jenen, die es auch schaffen wollen, leichter gemacht wird.“
„Die meisten meiner Kunden sind sehr geduldig und stellen sich schnell auf die Situation ein.“