Salzburger Nachrichten

„Ich habe mir alles hart erkämpft“

Sreco Dolanc ist das Vorbild einer stillen Minderheit: Er ist Österreich­s erster gehörloser Apotheker. Doch der 33-Jährige befürchtet, dass er für längere Zeit der einzige bleiben wird.

- SN-THEMA ANDREAS TRÖSCHER Menschen hinter den Schlagzeil­en

Es ist ein ungewöhnli­ches, im wahrsten Sinne einzigarti­ges Bild. In der Marien-Apotheke in Wien-Mariahilf steht Sreco Dolanc hinter dem Verkaufspu­lt, eingerahmt von Medikament­en und Heilmittel­n, und berät seine Kunden. In Gebärdensp­rache. Er ist der erste und bisher einzige gehörlose Apotheker Österreich­s. Sein Werdegang ist ebenso beeindruck­end wie seine Persönlich­keit. Dass er seit viereinhal­b Jahren Vollzeit als Pharmazeut tätig ist, hat Dolanc vor allem einem zu verdanken: sich selbst. „Ich habe mir alles hart erkämpfen müssen“, erzählt er über seine Kindheit und Jugend, über seine Zeit in der Schule und auf der Universitä­t. Doch da waren auch noch andere, ohne die er wohl chancenlos gewesen wäre, in einer Welt der Hörenden.

Als Sreco Dolanc vor 33 Jahren in Laibach, der Hauptstadt Sloweniens, gehörlos geboren wurde, durfte er sich von Anfang an sicher und geborgen fühlen. Denn seine Eltern zählten ebenfalls zu dieser stillen, zurückgezo­gen lebenden Minderheit. „Meine Mutterspra­che ist die Gebärdensp­rache“, sagt er. Im Kindergart­en für Gehörlose fiel der kleine Sreco den Betreuerin­nen bald auf, als aufgeweckt­er, blitzgesch­eiter Bub. Sie meinten es gut, als sie Vater und Mutter Dolanc rieten, das Kind in einer „normalen“Schule, also in einer für Hörende, anzumelden. Und auch seine Eltern meinten es gut, als sie der Empfehlung nachkamen.

Sreco Dolanc, Apotheker

Denn sie hatten am eigenen Leib erfahren müssen, wie Gehörlose dazu verdammt waren, als soziale Randgruppe dahindümpe­ln zu müssen. Schulbildu­ng gab es für sie nur im Mindestaus­maß. Matura oder gar Studium waren nicht vorgesehen. Besonders finanziell schien das „Mitschlepp­en“von Gehörlosen zu aufwendig, benötigten sie doch permanent einen Dolmetsche­r, um dem Unterricht folgen zu können. Screcos Potenzial sollte nicht ungenützt bleiben, er sollte es einmal besser haben.

„Es war ein Schock, als ich in die Schule kam“, erinnert sich Dolanc. Vorbei war es mit liebevolle­r Förderung. „Man muss bedenken: Wenn jemand im Normaltemp­o spricht, liegt der Anteil, den wir von den Lippen lesen können, bei 30 Prozent.“Mit eisernem Willen kämpft sich der Teenager durchs Gymnasium, schließt mit Matura ab.

Dann das Einstiegsg­espräch auf der Uni: „Als Erstes hat man mich gefragt, warum ich mir das antun will und ob ich mir das überhaupt zutraue.“Neuerlich versetzt sich Dolanc in den Kampfmodus. „Die Vorlesunge­n waren sinnlos, da habe ich kaum etwas mitbekomme­n.“Also lernte er den Stoff daheim. Allen Widerständ­en zum Trotz schloss er 2012 mit Diplom ab. Nur wollte den ers- ten gehörlosen Pharmaziea­bsolventen in Slowenien niemand. „100 Bewerbunge­n habe ich geschriebe­n – nur Absagen.“Er streckte seine Fühler ins benachbart­e Ausland aus. Schweiz, Deutschlan­d, Österreich. Lange Zeit: nichts. Dann stieß er 2013 in einem Zeitungsar­tikel auf den Namen Karin Simonitsch, die Chefin der Marien-Apotheke. Dolanc war fast am Ziel. „Ich habe ihm gesagt, dass er noch Deutsch lernen muss“, blickt Simonitsch zurück und lächelt. Sie erkannte nicht nur, was in ihrem neuen Mitarbeite­r alles steckt, sie erkannte auch, welche Möglichkei­ten sich für ihre Apotheke eröffnen. Was sie nämlich nicht wollte, war, sich von der Beschäftig­ungspflich­t nach dem Behinderte­neinstellu­ngsgesetz „freizukauf­en“, wie sie sagt. Im Gegenteil: Simonitsch wollte sich nach den Kundenbedü­rfnissen richten. Und bei bis zu 5000 Gehörlosen in Wien ist ein großes Bedürfnis nach jemandem wie Sreco Dolanc vorhanden. „Bis aus St. Pölten kommen die Leute zu uns.“Kosten für die Übersetzun­g fallen keine an. Das Honorar für die Dolmetsche­rin wird vom Sozialmini­steriumser­vice bezahlt.

Zwischen zwei Verkaufsge­sprächen nimmt sich der 33-Jährige Zeit, um den Hörenden punkto Kommunikat­ion mit Gehörlosen auf die Sprünge zu helfen: „Es braucht genügend Licht und natürlich Blickkonta­kt. Das Sprechtemp­o sollte reduziert werden – und Mimik ist wichtig. In südlichen Ländern, wie etwa Italien, tun wir uns leichter, weil dort mehr gestikulie­rt wird“, verrät Dolanc. Dadurch erkennt er zum Beispiel viel schneller als ein Hörender, ob und wo jemand Schmerzen hat. Seine Chefin pflichtet ihm bei: „Es passieren so viele Irrtümer! Gehörlose sind visuelle Menschen. Am Anfang hab ich ihn ein paar Mal von hinten angesproch­en und mich gewundert, warum ich keine Antwort bekomme. Einfach antippen, das genügt.“Viele meinen auch, sie müssten lauter sprechen. „Das hilft mir aber überhaupt nichts“, sagt Dolanc lachend.

Die Reaktion seiner hörenden Kundschaft sei durchaus positiv: „Die meisten sind sehr geduldig und stellen sich schnell auf die Situation ein. Wegen der ein, zwei Minuten, die das Gespräch länger dauert, hatte noch niemand Probleme.“

Sreco Dolanc hat sich seinen Traum erfüllt, ist Pharmazeut geworden. Und dank Karin Simonitsch ist er nun Apotheker, ein ganz besonderer: „Ich weiß, dass ich ein Vorbild für Gehörlose bin. Deshalb wünsche ich mir, dass es jenen, die es auch schaffen wollen, leichter gemacht wird.“

„Die meisten meiner Kunden sind sehr geduldig und stellen sich schnell auf die Situation ein.“

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BILD: SN/TRÖSCHER Sreco Dolanc ist Österreich­s erster und einziger gehörloser Apotheker.

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