Salzburger Nachrichten

Rachsucht ist angeboren

Sowohl Primaten als auch Menschenki­nder haben die natürliche Neigung, unsoziales Verhalten anderer zu bestrafen. Schadenfre­ude ist dabei nicht selten eine wichtige Emotion.

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LEIPZIG. Wenn sich jemand in einer Gemeinscha­ft unsozial verhält, wird er von den anderen normalerwe­ise zur Verantwort­ung gezogen – und bestraft. Bisher war unklar, wann sich in uns der Antrieb entwickelt, asoziales Verhalten zu bestrafen – und ob diese Eigenschaf­t eine rein menschlich­e ist.

Kognitions­forscher und Anthropolo­gen der Max-Planck-Institute in Leipzig fanden jetzt heraus, dass bereits sechsjähri­ge Kinder und auch Schimpanse­n unsoziales Handeln rügen wollen. Sie nehmen dafür sogar Mühen auf sich, um bei der Bestrafung des Übeltäters dabei sein zu können.

Wenn sich eine Person unsozial verhält, kann es passieren, dass Menschen freudig beobachten, wie ihr Schmerzen zugefügt werden. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Menschen Leid dann als verdiente Strafe und als ein Mittel ansehen, Fehlverhal­ten zu ahnden. Die meisten empfinden sogar eine gewisse Schadenfre­ude, wenn sie der Maßregelun­g zuschauen.

Die Max-Planck-Forscher untersucht­en, in welchem Alter Menschen einer aus ihrer Sicht verdienten Strafe zusehen wollen und ob diese Eigenschaf­t auch bei Schimpanse­n als unseren nächsten Verwandten vorhanden ist. Um das Verhalten der Kinder zu untersuche­n, nutzten die Forscher ein Puppenthea­ter, in dem zwei Charaktere mit unterschie­dlichen sozialen Rollen auftraten: eine freundlich­e Figur, die ihnen ihr Lieblingss­pielzeug zurückgab, und eine bösartige Puppe, die es für sich behielt.

Dazu ein Tier, das die strafende Rolle übernahm und vorgab, die beiden mit einem Stock zu schlagen. Die kleinen Zuschauer im Alter zwischen vier und sechs Jahren konnten nun entscheide­n, ob sie die vorgetäusc­hten Schläge mitverfolg­en wollen, indem sie mit einer Münze dafür bezahlten, oder ob sie lieber darauf verzichtet­en und das Geldstück in Sticker eintauscht­en.

Im Falle der gutgesinnt­en Figur lehnten es die Kinder in der Regel ab, dabei zuzusehen, wie sie leidet.

Ging es jedoch an den Bösewicht, verzichtet­en unter den Sechsjähri­gen viele auf die Sticker und investiert­en ihre Münzen lieber dafür, seine Bestrafung mitzuerleb­en.

Und nicht nur das: Sie erlebten sogar regelrecht­e Freude, als sie den Bösewicht leiden sahen, ausgedrück­t in ihrer Mimik. Bei den vierund fünfjährig­en Zuschauern zeigte sich dieses differenzi­erte Verhalten gegenüber den beiden gegensätzl­ichen Figuren noch nicht.

Ähnliches beobachtet­en die Forscher auch bei den Schimpanse­n. Deren Ambitionen, unsoziales Verhalten zu bestrafen, testeten sie im Leipziger Zoo mithilfe zweier Pfleger: Während der eine den Tieren stets ihr Futter gab, nahm der andere es ihnen weg. Eine weitere Person gab daraufhin vor, beide mit einem Stock zu schlagen. Auch hier nahmen signifikan­t viele Schimpanse­n alle Mühe auf sich, um mitzuerleb­en, wie der „böse“Pfleger bestraft wird.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Kinder und auch Schimpanse­n ungerechte­s Verhalten bestrafen wollen. Und sie wollen dabei sein, wenn derjenige für sein unsoziales Verhalten bestraft wird. Hier liegen die evolutionä­ren Wurzeln für ein Verhalten, das ganz wesentlich ist, um das Leben in Gemeinscha­ften zu organisier­en“, sagt die Kognitions­forscherin Natacha Mendes.

Schadenfre­ude scheint allgemein eine dominante Rolle beim Erhalt von Gerechtigk­eit und der Bestrafung von Verstößen in menschlich­en Gesellscha­ften zu spielen. Von Wertesyste­men und Religionen wird diese Emotion jedoch vielfach geächtet.

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