Mehr Medienvielfalt ist noch keine Neuerfindung des Journalismus
Die neu angetretenen Rechercheplattformen im Internet leisten solide journalistische Arbeit. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.
Vielleicht haben Sie schon von dossier.at gehört. An dieser Internet-Adresse logieren junge Journalisten, die unregelmäßig, aber kontinuierlich auch als Partner etablierter Medien große Fälle recherchieren. Jüngst Toni Sailer.
Eventuell ist Ihnen zudem addendum.org aufgefallen. Das ist eine Gruppe teils prominenter Journalisten und diverser Fachexperten, die sich jede Woche einem neuen inhaltlichen Projekt widmet. Aktuell ist es Donald Trump.
Allenfalls hat sogar republik.ch Ihre Aufmerksamkeit gewonnen. Die Schweizer produzieren seit Sonntag etwas Ähnliches wie die vorgenannten Österreicher. Nicht mehr als drei Artikel pro Tag. Zum Start zu Facebook.
Eine Parallele dieser Initiativen ist ihr investigativer Ansatz, also der Versuch von Enthüllung, in Kombination mit Entschleunigung. Aktualität spielt weniger eine Rolle. Eine weitere Gemeinsamkeit ist ihr unausgesprochener Vorwurf, mehr zu leisten als herkömmliche Medien. „Das, was fehlt“, sagt addendum.org über sich. Um es zu ermöglichen, hat Dietrich Mateschitz eine Million investiert. Laut manchen Berechnungen betreibt der Milliardär in Österreich bereits das zweitgrößte Medienhaus nach dem ORF. Dagegen ist dossier.at ein Crowdfunding-Projekt, für das seit seiner Gründung 2012 erst 60.000 Euro flossen. Dennoch ist es wie addendum.org frei zugänglich.
Bei republik.ch hingegen kostet das Jahresabo 205 Euro. Aber nicht, weil die Eidgenossen diese Finanzierung mehr brauchen. Bekannte Journalisten haben dafür drei Millionen Euro von 18.000 Interessenten gesammelt. Dazu kommt ebenso viel Geld von Investoren. Dass die Schweizer es dennoch als Kaufmedium anlegen, macht ihr Projekt vergleichbar mit herkömmlichen Medien, die sich betriebswirtschaftlich auf dem Markt behaupten müssen.
Allen gemeinsam ist unterdessen, dass sie zwar solide redaktionelle, immer wieder auch wirklich investigative Arbeit leisten, aber beileibe keine Neuerfindung eines Genres darstellen. Sie stoßen in die vorerst nur behauptete Lücke vor, dass der Kostendruck dem Journalismus zu wenig Zeit und Ressourcen für Erklärung und Recherche lasse. Den Großteil an Enthüllungen liefern aber immer noch Zeitungen und Magazine. Auch für sie sind das keine alltäglichen, aber selbstverständliche Teile ihres Inhalts, der insgesamt viel umfangreicher ist als jener der neuen Rechercheplattformen. Diese bereichern bloß als neues Spezialangebot die Medienvielfalt – noch ohne überzeugende Antwort darauf, ob es den Markt für sie gibt und ob die Gesellschaft sie braucht.