Aus Gier und Neid braut sich ein Rachedrama
Aus schrecklichen Burschen sind nur dem Anschein nach honorige Bürger geworden.
Der Roman sieht aus wie ein klassisches Rachedrama. Zwei Jugendliche wurden von vier anderen Jugendlichen geschändet. Und nachdem die Jahre ins Land gezogen sind, kommt einer von beiden zurück und stellt einen Verbrecher nach dem anderen. Wenn Gerechtigkeit nicht zu haben ist, darf sich das Opfer von einst zum Täter aufschwingen, ein Mord bedeutet in einem Rachedrama nichts Ehrenrühriges. Es hat den Anschein, als ob Franz Kabelka, ein in Vorarlberg lebender Oberösterreicher mit Krimierfahrung, strikt nach Plan vorginge. Tatsächlich aber möchte er offenbar doch lieber die gesellschaftlichen Strukturen in der österreichischen Provinz ausloten.
Wir befinden uns im Waldviertel, auf das wegen der Frostigkeit seiner Bewohner der Begriff „Kaltviertel“angewendet wird. Aus den schrecklichen Burschen von einst sind honorige Bürger geworden, Stützen der Gesellschaft, würde Henrik Ibsen sagen, der wenig Zutrauen in die Friedfertigkeit jener besaß, die an der Macht teilhaben durften. Gier und Neid sind das Öl, das die Intrigen am Laufen hält. Dabei sind die Konflikte, die im Dorf ausgetragen werden, auf österreichisches Maß zurückgeschraubt. Einer wechselt von der ÖVP zur FPÖ – des Eigennutzes wegen. So werden aus besten Freunden Widersacher, treu im Hass aufeinander vereint. Im Gemeinderat gehen die Wogen hoch, wenn verhandelt wird, ob Windräder ins Dorf geholt werden. Es geht nicht um die Sache, sondern ein Duell zwischen dem Bürgermeister und seinem Gegner findet statt: der Ego-Giganten.
Die Aufmerksamkeit liegt auf der Gegenwart, für diesen Bürgermeister gibt es eine Vergangenheit, in der er schuldig geworden ist, gar nicht. Franz Kabelka schildert ihn als fiesen Kerl. Auch zu seinen Spießgesellen von damals fällt ihm kein gutes Wort ein, sie waren Übeltäter und sind es geblieben, vielleicht haben sie an Kaltblütigkeit noch dazugewonnen.
Bei so viel miesem Karma ist man auf Gegenspieler angewiesen, die die Welt als einen doch nicht vollkommen finsteren Ort ausweisen. Zwei davon kommen von außen. Beide haben das Dorf verlassen, und jetzt bringen sie etwas Gedankentiefe und Seelenfrieden zurück. Doch halt, das ist nur ein Kabelka’scher Trick, dem Leser zu zeigen, dass edle Charaktere sich von der Infamie rundum nicht beeindrucken lassen. Derjenige, der sich Gunnar nennt, als Kind vergewaltigt, wird die Schande nie mehr los. Er hat es zu Ansehen und Vermögen gebracht, indem er aus dem Leid von einst Kunstwerke schafft. Früher musste er den Errungenschaften der Zivilisation abschwören, da sein Vater so tat, als wären alle Familienmitglieder echte Germanen. Sie lebten in einem Holzbau, waren das Gespött der Gegend. Deshalb waren die Buben prädestiniert als Opfer für dumpfe Burschenfantasien.
Gunnar, der Gute, ein Mann mit Charakter und Aura. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass er sich jetzt die Widerlinge vorknöpft und sie zur Rechenschaft zieht. Aber es gehört zur Strategie von Rachedramen, dass für Gerechtigkeit mit illegitimen Mitteln gesorgt wird. Dann ist dem Gefühl des Ausgleichs Genüge getan. Und um Gefühle geht es ja in diesem Buch, das eine Antwort auf die Ungerechtigkeit gibt.
Alle haben Gründe, den Dorfbeherrschern eines auszuwischen. Zu trauen ist niemandem, so viel Misstrauen bleibt bei Franz Kabelka schon. Derart viel an Hass und Wut hat sich aufgestaut, dass auch die braven Bürger tickende Zeitbomben sind. Eine Figur jedoch steht jenseits aller missliebigen Zuschreibungen, ein Jugendlicher mit Downsyndrom. Er kennt keine Falschheit, seine Freude ist ehrlich. Die anderen taktieren, paktieren, spielen nie mit offenen Karten. Aber so ist das unter Menschen nun einmal, da kann man Kabelka keinen Vorwurf machen.