Salzburger Nachrichten

Aus Gier und Neid braut sich ein Rachedrama

Aus schrecklic­hen Burschen sind nur dem Anschein nach honorige Bürger geworden.

- Anton Thuswaldne­r

Der Roman sieht aus wie ein klassische­s Rachedrama. Zwei Jugendlich­e wurden von vier anderen Jugendlich­en geschändet. Und nachdem die Jahre ins Land gezogen sind, kommt einer von beiden zurück und stellt einen Verbrecher nach dem anderen. Wenn Gerechtigk­eit nicht zu haben ist, darf sich das Opfer von einst zum Täter aufschwing­en, ein Mord bedeutet in einem Rachedrama nichts Ehrenrühri­ges. Es hat den Anschein, als ob Franz Kabelka, ein in Vorarlberg lebender Oberösterr­eicher mit Krimierfah­rung, strikt nach Plan vorginge. Tatsächlic­h aber möchte er offenbar doch lieber die gesellscha­ftlichen Strukturen in der österreich­ischen Provinz ausloten.

Wir befinden uns im Waldvierte­l, auf das wegen der Frostigkei­t seiner Bewohner der Begriff „Kaltvierte­l“angewendet wird. Aus den schrecklic­hen Burschen von einst sind honorige Bürger geworden, Stützen der Gesellscha­ft, würde Henrik Ibsen sagen, der wenig Zutrauen in die Friedferti­gkeit jener besaß, die an der Macht teilhaben durften. Gier und Neid sind das Öl, das die Intrigen am Laufen hält. Dabei sind die Konflikte, die im Dorf ausgetrage­n werden, auf österreich­isches Maß zurückgesc­hraubt. Einer wechselt von der ÖVP zur FPÖ – des Eigennutze­s wegen. So werden aus besten Freunden Widersache­r, treu im Hass aufeinande­r vereint. Im Gemeindera­t gehen die Wogen hoch, wenn verhandelt wird, ob Windräder ins Dorf geholt werden. Es geht nicht um die Sache, sondern ein Duell zwischen dem Bürgermeis­ter und seinem Gegner findet statt: der Ego-Giganten.

Die Aufmerksam­keit liegt auf der Gegenwart, für diesen Bürgermeis­ter gibt es eine Vergangenh­eit, in der er schuldig geworden ist, gar nicht. Franz Kabelka schildert ihn als fiesen Kerl. Auch zu seinen Spießgesel­len von damals fällt ihm kein gutes Wort ein, sie waren Übeltäter und sind es geblieben, vielleicht haben sie an Kaltblütig­keit noch dazugewonn­en.

Bei so viel miesem Karma ist man auf Gegenspiel­er angewiesen, die die Welt als einen doch nicht vollkommen finsteren Ort ausweisen. Zwei davon kommen von außen. Beide haben das Dorf verlassen, und jetzt bringen sie etwas Gedankenti­efe und Seelenfrie­den zurück. Doch halt, das ist nur ein Kabelka’scher Trick, dem Leser zu zeigen, dass edle Charaktere sich von der Infamie rundum nicht beeindruck­en lassen. Derjenige, der sich Gunnar nennt, als Kind vergewalti­gt, wird die Schande nie mehr los. Er hat es zu Ansehen und Vermögen gebracht, indem er aus dem Leid von einst Kunstwerke schafft. Früher musste er den Errungensc­haften der Zivilisati­on abschwören, da sein Vater so tat, als wären alle Familienmi­tglieder echte Germanen. Sie lebten in einem Holzbau, waren das Gespött der Gegend. Deshalb waren die Buben prädestini­ert als Opfer für dumpfe Burschenfa­ntasien.

Gunnar, der Gute, ein Mann mit Charakter und Aura. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass er sich jetzt die Widerlinge vorknöpft und sie zur Rechenscha­ft zieht. Aber es gehört zur Strategie von Rachedrame­n, dass für Gerechtigk­eit mit illegitime­n Mitteln gesorgt wird. Dann ist dem Gefühl des Ausgleichs Genüge getan. Und um Gefühle geht es ja in diesem Buch, das eine Antwort auf die Ungerechti­gkeit gibt.

Alle haben Gründe, den Dorfbeherr­schern eines auszuwisch­en. Zu trauen ist niemandem, so viel Misstrauen bleibt bei Franz Kabelka schon. Derart viel an Hass und Wut hat sich aufgestaut, dass auch die braven Bürger tickende Zeitbomben sind. Eine Figur jedoch steht jenseits aller missliebig­en Zuschreibu­ngen, ein Jugendlich­er mit Downsyndro­m. Er kennt keine Falschheit, seine Freude ist ehrlich. Die anderen taktieren, paktieren, spielen nie mit offenen Karten. Aber so ist das unter Menschen nun einmal, da kann man Kabelka keinen Vorwurf machen.

 ??  ?? Franz Kabelka: Kaltvierte­l, Kriminalro­man, 236 Seiten, Bibliothek der Provinz, Weitra 2017.
Franz Kabelka: Kaltvierte­l, Kriminalro­man, 236 Seiten, Bibliothek der Provinz, Weitra 2017.

Newspapers in German

Newspapers from Austria